Jack McEvoy 01 - Der Poet
hat«, sagte sie. »Ich war in Quantico sogar online, als er sich einschaltete, und konnte somit den User identifizieren. Schon da habe ich vermutet, dass er die Suche für Sie unternahm. Wie Sie sich vorstellen können, wurde das zu einem Problem der Schadensbegrenzung. Ich brauchte nicht nach Washington zu fahren, weil wir in Quantico Kopien sämtlicher Protokolle haben. Aber ich musste herausfinden, was Sie vorhatten. Die zweite Bestätigung, dass Warren Ihnen geholfen hat und dass Sie Kopien der Protokolle besaßen, erhielt ich schließlich, als ich zwischen den Akten das Blatt aus Ihrem Notizbuch fand.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Was passiert mit Warren?«
»Nachdem ich Ford informiert hatte, stellten wir ihn heute Morgen zur Rede. Er gab alles zu und nannte mir sogar Ihr Hotel. Ford verlangte seine Kündigung, und Warren erklärte sich einverstanden.«
»Scheiße.«
Ich verspürte zwar ein leichtes Schuldgefühl, war aber von dem, was passiert war, nicht über alle Maßen betroffen. Wer weiß, ob Warren es nicht darauf angelegt hatte, dass er entlassen wurde. Vielleicht war es eine von ihm selbst herbeigeführte Entgleisung gewesen. Das jedenfalls redete ich mir ein, weil es auf diese Weise leichter war, damit fertig zu werden.
»Übrigens«, fragte sie, »woran haben Sie gemerkt, dass ich nur eine Schau abgezogen habe?«
»Mein Chef weiß nicht, in welchem Hotel ich abgestiegen bin. Das wusste nur Warren.«
Sie schwieg für ein paar Augenblicke, bis ich sie bat, mit ihrem Bericht fortzufahren. Sie erzählte mir, dass sie bei ihrer Computer-Suche am Donnerstagnachmittag auf dieselben drei zehn Namen gestoßen war, die auch Warren für mich gefunden hatte. Plus mein Bruder und John Brooks in Chicago.
Sie hatte sich die Kopien der Protokolle besorgt und nach Bindegliedern gesucht, unter besonderer Beachtung der Selbstmord- Notizen, die mich, wie sie von Ford wusste, vor allem interessierten. Dabei hatten ihr ein Kryptologe und der Chiffrier-Computer des FBI geholfen, der über eine Datenbank verfügte, neben der sich die der Rocky wie ein Comic-Heft ausnahm.
»Wir sind anhand der Notizen auf insgesamt fünf direkte Zusammenhänge gestoßen. Ihr Bruder und Brooks sind auch dabei«, sagte sie.
»Also haben Sie in rund drei Stunden geschafft, wozu ich eine ganze Woche gebraucht habe. Wie sind Sie auf McCafferty gekommen, ohne eine entsprechende Notiz in der Akte?«
»Wir haben McCafferty nicht mitgerechnet. Damit beschäftigen sich jetzt Agenten vom Field Office in Baltimore.«
Das war merkwürdig, denn ich hatte mit McCafferty fünf Fälle.
»Welche fünf haben Sie? Mein Bruder und Brooks, das sind zwei.«
Ich schlug mein Notizbuch auf.
»Richtig.«
Ich fragte: »Haben Sie Kotite in Albuquerque? >Heimgesucht von bösen Engeln«
»Ja, den haben wir. Dann den in ...«
»Dallas. Garland Petry. >Wohl weiß ich genau, meine Kraft ist besiegt.« Aus >Für Annie<...«
»Ja, habe ich auch.«
»Und dann hatte ich McCafferty. Wer ist Ihr fünfter Mann?«
»Ach, ein Cop in Florida. Es war schon eine alte Sache. Er war ein Deputy Sheriff. Näheres muss ich nachschauen.«
»Einen Augenblick.« Ich blätterte kurz in meinem Notizbuch und fand, was ich suchte. »Clifford Beltran, Sarasota County Sheriff’s Department. Er ...« »Ja, der war’s.«
»Moment mal! Hier steht, dass seine Nachricht »Gott helfe meiner armen Seele< gelautet hat. Ich habe sämtliche Gedichte gelesen. Diese Zeile kam in keinem vor.«
»Sie haben Recht. Wir haben es woanders gefunden.«
»Wo? In einer der Erzählungen?«
»Nein. Das waren seine letzten Worte. Poes letzte Worte. >Gott helfe meiner armen Seele.<«
Ich nickte. Es war kein Gedicht, aber es passte. Also waren es jetzt sechs Fälle.
Ich schwieg für einen Moment, wie aus Respekt vor dem neuen Mann auf der Liste. Dann konsultierte ich meine Notizen. Beltran war seit drei Jahren tot. Eine lange Zeit für einen unentdeckten Mord.
»Hat Poe Selbstmord begangen?«
»Nein, obwohl ich finde, dass man seine Art zu leben als langen Selbstmord betrachten könnte. Er war ein Frauenheld und ein starker Trinker. Er starb mit vierzig, angeblich nach einer ausgedehnten Sauftour in Baltimore.«
Ich nickte, dachte an den Killer, das Phantom, und fragte mich, ob er persönliche Schlüsse aus Poes Leben zog.
»Jack, was ist mit McCafferty?«, fragte sie. »Er hätte ins Muster gepasst, aber dem Protokoll zufolge gab es keine Nachricht. Was wissen Sie darüber?«
Jetzt hatte
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