Jack Morrow und das Grab der Zeit: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
rechts erstreckte. Weit dahin ter befand sich ein reich verzierter Altar, der im weichen Licht schimmerte. Hier erreichte das Dach neue Höhen und endete in einer wunderschön geschmückten Kuppel, die Jack den Atem raubte. Langsam fiel es ihm wieder ein; er war hier schon einmal gewesen. Auf einem Klassenausflug hatten sie sich die größte Kathedrale in London angesehen. Er hatte kaum auf den Vortrag geachtet und den Ausflug mehr ge nossen als die historischen Hintergründe. Nun wünschte er sich, er hätte doch zugehört.
»Das ist die St.-Pauls-Kathedrale«, sagte er schließlich.
»Ich weiß.« Daveys beklommene Stimme hallte in dem rie sigen Raum.
»Rouland ist hier«, flüsterte Eloise. »Wir müssen gehen.«
Sie wandte sich zum Eingang, und Jack und Davey folgten ihr, wobei Jack den verwirrten Jo-Jo mitzog. Sie liefen die Länge des Kirchenschiffs hinunter zu dem großen Tor, das in die Freiheit führte. Ihre Schritte hallten von den altehrwürdigen Wänden wider. Abrupt blieb Eloise stehen und rutschte ein Stück über die Fliesen.
»Was ist los?« Jack bremste hinter ihr und spähte über ihre Schulter.
Zwei Frauen in dunkler, uralter Rüstung versperrten ihnen den Weg.
»Die Paladine«, rief Davey ängstlich. »Nicht schon wieder.«
Jack fuhr herum. Überall im ganzen Kirchenschiff standen weitere Paladine. Alle zogen sie ihre Schwerter, das Kratzen des Metalls klang mechanisch und kalt. Eloise streckte ihr Schwert vor und machte sich für den Angriff bereit, der tödlich enden musste. In der Ferne hörte Jack harte Absätze auf die Fliesen schlagen, langsame, bedächtige Schritte wie der Takt einer Militärtrommel. Die Schritte wurden lauter, und Jack sah nach hinten zum Altar. Jemand trat aus den Schat ten, mit selbstbewussten und gemessenen Schritten. Der Mann war hochgewachsen und elegant und hielt sich mit einer Selbstsicherheit, die Jack fesselte. Er wusste sofort, wer das sein musste.
Rouland trat in das orangefarbene Licht, gut aussehend und schrecklich, exotisch und bedrohlich. Er war makellos in seiner dunklen Rüstung, die er bei ihrer ersten Begegnung tief unter London getragen hatte. Er lächelte unheilvoll, und das orangefarbene Licht ließ seine vollkommene Haut aussehen, als würde sie die Morgendämmerung der Hölle zurückwerfen.
»Guten Abend, Jack, es ist sehr lange her.«
26 Die letzte Reise
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Die letzte Reise
» D u hast mich auf eine ganz schöne Reise geschickt, Jack Morrow.« Rouland lächelte. »Eine Zeit lang bist du etwas überaus Seltenes für mich gewesen: neu nämlich und unvorhersehbar.«
Während Rouland redete, näherten sich seine Paladine langsam und zogen die Falle zu. Eloise schwang ihr Schwert in einem weiten Bogen herum, um die Paladine am Näherkommen zu hindern.
Er hob die Hand. »Bitte, es besteht kein Anlass zu Gewalttätigkeiten.« Die Paladine stoppten, aber Eloise blieb auf der Hut.
Rouland wandte seine Aufmerksamkeit wieder Jack zu. »Dieser Duft, Jack, dieser berauschende Duft. Er ist jetzt deutlich stärker. Hast du die Rose gefunden?«
»Nein.«
»Wir sind über Spiele und Lügen hinaus, Jack. Ich bin eigens hierhergekommen, und zwar unter beträchtlichem Auf wand, und ich werde die Rose bekommen.« Hinter Rouland bewegte sich ein unheimlicher Umriss, ein schmales Wesen, das beinahe zehn Meter groß war. Sein dunkles Gewand war mit Krähenflügeln geschmückt, die in einem komplizierten Muster übereinandergelegt waren. Es trug Ketten aus Knochen und ein großes tickendes Zifferblatt als Anhänger vor der Brust. Eine Kapuze, aus der grauer Rauch wallte, verbarg sein Gesicht. Es hatte irgendwie zu viele Hände – Jack konnte mindestens vier sehen, alle dünn und knochig, aber mit schwe ren Gold- und Bernsteinringen an jedem Finger. In einer dieser Hände trug es eine lange Zeremoniensense. Die Elfen beinklinge war mit glitzernden Edelsteinen überzogen und in den Schaft aus narbigem Holz waren Worte aus einer Ursprache geschnitzt, die von den Geheimnissen eines vergessenen Zeitalters flüsterten.
Das Wesen sah auf sein Zifferblatt und verschwand in einem Wirbel seines schweren Umhangs wieder in den Schatten und ließ nur eine graue Rauchspur hinter sich zurück.
Jack schauderte und zog Jo-Jo an sich. Der Kleine hatte Angst und schluchzte leise.
»Wo ist die Rose?«, brüllte Rouland mit unvermittelter Heftigkeit, und sein schönes Gesicht verzerrte sich vor Zorn.
»Lassen Sie ihn in Ruhe!« Davey trat vor Jack und Jo-Jo.
»Davey.
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