Jack Reacher 01: Größenwahn
mit einem Grinsen auf den Lippen. Er stand vor einem gelben Lieferwagen. Grinste und sah blinzelnd in die Kamera. Das Grinsen verlieh ihm eine gewisse Prägnanz.
»Das ist der Wagen, den er fuhr«, sagte Judy.
Aber ich blickte nicht auf den Wagen oder Sherman Stollers prägnantes Grinsen. Ich blickte auf eine Gestalt im Hintergrund des Bildes. Sie war unscharf und halb von der Kamera abgewandt, aber ich konnte erkennen, wer es war. Paul Hubble.
Ich winkte Roscoe zu uns herüber, und sie beugte sich neben mir über den Sessel. Ich sah, wie eine Welle des Erstaunens über ihr Gesicht lief, als sie Hubble erkannte. Dann beugte sie sich tiefer über das Foto. Sah genauer hin. Ich sah eine zweite Welle des Erstaunens. Sie hatte noch etwas anderes erkannt.
»Wann ist das Foto gemacht worden?« fragte ich.
Judy zuckte die Schultern.
»Letztes Jahr im Sommer, glaube ich.«
Roscoe berührte das verschwommene Bild von Hubble mit ihrem Fingernagel.
»Hat Sherman gesagt, wer dieser Mann ist?«
»Der neue Boss«, sagte Judy. »Er war sechs Monate da, dann hat er Sherman gefeuert.«
»Der neue Boss von Island Air-conditioning?« fragte Roscoe. »Gab es einen Grund für Shermans Entlassung?«
»Sherman sagte, sie würden ihn nicht mehr brauchen. Er hat nie viel erzählt.«
»Ist das der Firmensitz von Island Air-conditioning? Wo das Bild aufgenommen wurde?«
Judy zuckte die Schultern und nickte zaghaft.
»Ich glaube, ja«, sagte sie. »Sherman hat mir nicht viel darüber erzählt.«
»Wir müssen das Foto mitnehmen«, sagte Roscoe. »Sie bekommen es später zurück.«
Judy fischte es aus der Plastikhülle. Gab es ihr.
»Sie können es behalten. Ich will es nicht mehr.«
Roscoe nahm das Foto und steckte es in die Innentasche ihrer Jacke. Sie und ich gingen in die Mitte des Raumes zurück und blieben dort stehen.
»In den Kopf geschossen«, sagte Judy. »Das kommt davon, wenn man dumme Spielchen spielt. Ich habe ihm gesagt, daß sie ihn früher oder später erwischen würden.«
Roscoe nickte mitfühlend.
»Wir bleiben in Verbindung«, sagte sie. »Sie wissen schon, die Formalitäten wegen der Beerdigung, und vielleicht brauchen wir eine Aussage.«
Judy starrte uns wieder an.
»Bemühen Sie sich nicht. Ich werde nicht zu seiner Beerdigung gehen. Ich war nicht seine Frau, also bin ich jetzt auch nicht seine Witwe. Ich werde vergessen, daß ich ihn jemals kannte. Dieser Mann hat mir von Anfang bis Ende nur eine Menge Ärger gemacht.«
Sie stand vor ihrem Sessel und starrte uns an. Wir gingen leise hinaus, den Flur hinunter und durch die Haustür. Über den schwierigen Pfad. Wir hielten uns an der Hand, während wir über die Steine stiegen.
»Was ist auf dem Foto?«
Roscoe ging weiter.
»Warte«, sagte sie. »Ich zeig's dir im Wagen.«
KAPITEL 19
Wir stiegen in den Chevy, und sie schaltete das Licht an. Zog das Foto aus ihrer Tasche. Lehnte sich herüber und hielt das Bild so, daß die glänzende Oberfläche im Licht lag. Überprüfte es sorgfältig. Gab es mir.
»Sieh auf den Rand«, sagte sie. »Auf der linken Seite.«
Das Bild zeigte Sherman Stoller, der vor einem gelben Lieferwagen stand. Paul Hubble stand abgewandt im Hintergrund. Die beiden Gestalten und der Wagen füllten das gesamte Bild, abgesehen von einem Keil Asphalt am unteren Rand. Und einem dünnen Rand im linken Hintergrund. Dieser Ausschnitt war sogar noch verschwommener als Hubble, aber ich konnte den Rand eines modernen Metallgebäudes mit einer silberfarbenen Verkleidung sehen. Einen großen Baum dahinter. Den Rahmen einer Tür. Es war ein großes Rolltor, hochgezogen. Der Rahmen war dunkelrot. Irgendein Industrieanstrich. Teils dekorativ, teils Rostschutz. Eine Art Schuppentür. Im Innern des Gebäudes war es dunkel.
»Das ist Kliners Lagerhaus«, sagte sie. »Am Ende der Landstraße.«
»Bist du sicher?«
»Ich erkenne den Baum wieder«, antwortete sie.
Ich sah noch einmal hin. Es war ein charakteristischer Baum. Auf der einen Seite völlig abgestorben. Vielleicht von einem Blitz gespalten.
»Das ist Kliners Lagerhaus«, sagte sie noch einmal. »Kein Zweifel.«
Dann schaltete sie ihr Autotelefon ein und nahm das Foto zurück. Wählte die Zulassungsstelle in Atlanta an und gab die Nummer von Stollers Lieferwagen durch. Wartete und klopfte mit ihrem Zeigefinger auf das Lenkrad. Ich hörte, wie die Antwort durch den Hörer kam. Dann schaltete sie das Telefon aus und wandte sich zu mir um.
»Der Wagen ist auf Kliner Industries
Weitere Kostenlose Bücher