Jack Reacher 01: Größenwahn
fing ich im letzten Monat im Department an, die Liste der Gewerkschaft mit den freien Stellen zu lesen. Entdeckte diesen Job hier unten. Ich rief einen alten Freund beim FBI in Atlanta an und fragte ihn darüber aus. Er warnte mich. Er sagte: Vergiß es. Er sagte, es handle sich um ein Mickey-Mouse-Department in einer Stadt, die noch nicht mal auf der Landkarte verzeichnet sei. Der Posten werde als Chief Detective bezeichnet, dabei gebe es nur einen Detective. Der Vorgänger sei ein Irrer gewesen, der sich aufgehängt habe. Das Department würde von einem fetten Schwachkopf geleitet. Die Stadt sei in der Hand von einem alten Georgia-Typen, der immer vergesse, daß die Sklaverei abgeschafft worden sei. Mein Freund in Atlanta sagte: Vergiß es. Aber ich war so fertig, daß ich die Stelle unbedingt wollte. Ich dachte, ich könne mich hier quasi als Strafe vergraben, verstehen Sie? In einer Art Buße. Außerdem brauchte ich Geld. Sie boten ein Spitzengehalt, und ich mußte mit Unterhaltszahlungen und Rechnungen vom Anwalt rechnen, verstehen Sie? Also bewarb ich mich und kam hier runter. Ich sprach mit Bürgermeister Teale und mit Morrison. Ich war ein Wrack, Reacher. Ich war total fertig. Ich konnte nicht zwei Wörter sinnvoll miteinander verbinden. Es muß das schlechteste Vorstellungsgespräch in der Geschichte der Erde gewesen sein. Ich muß gewirkt haben wie ein Schwachkopf. Aber sie gaben mir den Job. Ich schätze, sie brauchten einen Schwarzen für ihr Image. Ich bin der erste schwarze Cop in der Geschichte Margraves.«
Ich drehte mich auf dem Hocker um und sah ihm ins Gesicht.
»Also glauben Sie, Sie seien nur ein Alibischwarzer?« fragte ich. »Das sei der Grund, warum Teale Sie nicht zum Polizeichef machen würde?«
»Das ist doch offensichtlich. Er hat mich als Alibischwarzen eingestellt. Und nicht als zukünftigen Polizeichef. Macht irgendwie Sinn. Ich konnte am Anfang sowieso nicht glauben, daß ich den Job bekommen habe, Alibischwarzer oder nicht.«
Ich winkte dem Mann hinter der Theke wegen der Rechnung. Ich war zufrieden mit Finlays Geschichte. Er würde nicht Polizeichef werden. Also konnte ich ihm vertrauen. Und ich konnte Roscoe vertrauen. Wir würden zu dritt sein, gegen wen auch immer.
»Sie irren sich«, sagte ich. »Das ist nicht der wahre Grund. Sie werden nicht Polizeichef, weil Sie kein Krimineller sind.«
Ich zahlte die Rechnung mit einem Zehner und bekam nur Vierteldollarmünzen als Wechselgeld zurück. Der Mann hatte immer noch keine Dollarnoten. Dann sagte ich zu Finlay, daß ich das Haus von Morrison sehen müsse. Sagte ihm, daß ich alle Einzelheiten brauchte. Er zuckte nur die Schultern und führte mich nach draußen. Wir wandten uns nach Süden. Gingen an dem Anger vorbei und ließen die Stadt hinter uns.
»Ich war der erste am Tatort«, sagte er. »Gegen zehn Uhr heute morgen. Ich hatte Morrison seit Freitag nicht mehr gesehen, und ich mußte ihn auf den neuesten Stand bringen, konnte ihn aber telefonisch nicht erreichen. Die Hälfte des Vormittags war schon vorbei, und wir hatten noch nichts Sinnvolles wegen des Doppelmords von Donnerstag nacht unternommen. Wir mußten endlich unsere Ärsche in Bewegung setzen. Also ging ich auf der Suche nach ihm zuerst zu seinem Haus.«
Er lief schweigend weiter. Vergegenwärtigte sich noch einmal die Szene, die er vorgefunden hatte.
»Die Vordertür stand offen«, fuhr er fort. »Einen Zentimeter vielleicht. Ich hatte kein gutes Gefühl dabei. Ich ging hinein und fand sie oben im Schlafzimmer. Es sah aus wie in einem Schlachthof. Überall Blut. Er war an die Wand genagelt worden, wie zum Abhängen. Sie hatten beiden die Kehle durchgeschnitten, ihm und seiner Frau. Es war grauenhaft. Seit ungefähr vierundzwanzig Stunden waren sie tot. Bei der Wärme. Sehr unangenehm. Also beorderte ich die gesamte Mannschaft dorthin, und wir untersuchten jeden einzelnen Zentimeter und trugen alles zusammen. Im wahrsten Sinne des Wortes.«
Er schwieg wieder.
»Also passierte es Sonntag morgen?« fragte ich.
Er nickte.
»Die Sonntagszeitung lag auf dem Küchentisch. Ein paar Teile waren schon gelesen, der Rest unberührt. Das Frühstück auf dem Tisch. Der Gerichtsmediziner denkt, gegen zehn Uhr am Sonntag morgen.«
»Haben die Täter irgendwelche brauchbaren Spuren zurückgelassen?«
Er nickte wieder. Grimmig.
»Fußabdrücke im Blut. Das Ganze war ein einziger See aus Blut. Literweise Blut. Natürlich schon teilweise getrocknet. Sie hinterließen
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