Jack Reacher 01: Größenwahn
Uhr. »Sie verschwenden besser nicht meine Zeit, Reacher.« Wir gingen nach Norden. Die Sonne stand nicht mehr im Zenit, aber die Hitze war immer noch heftig. Ich begriff nicht, wie Finlay ein Tweedjackett tragen konnte. Und eine Leinenweste. Ich ging mit ihm rüber zur Grünfläche. Wir liefen über den Rasen und lehnten uns nebeneinander an die Statue des guten, alten Caspar Teale.
»Sie haben ihm die Eier abgeschnitten, stimmt's?« fragte ich.
Er nickte. Sah mich abwartend an.
»Okay.« Ich zögerte. »Meine Frage ist folgende: Haben Sie seine Eier gefunden?«
Er schüttelte den Kopf.
»Nein, wir haben das ganze Haus durchsucht. Wir von der Polizei und der Gerichtsmediziner. Sie waren nicht da. Seine Hoden werden vermißt.«
Er lächelte, als er das sagte. Er entdeckte seinen schwarzen Polizistenhumor wieder.
»Okay, das wollte ich wissen.«
Sein Lächeln wurde breiter. Erreichte seine Augen.
»Warum? Wissen Sie, wo sie sind?«
»Wann ist die Autopsie?«
Er lächelte immer noch.
»Seine Autopsie wird auch nichts erbringen. Sie wurden abgeschnitten. Sie sind nicht mehr mit ihm verbunden. Sie waren nicht da. Sie werden vermißt. Also wie soll man sie bei seiner Autopsie finden?«
»Nicht bei seiner«, sagte ich. »Bei der Autopsie seiner Frau. Wenn man ihren Mageninhalt untersucht.«
Finlay hörte auf zu lächeln. Wurde still. Sah mich nur an.
»Reden Sie, Reacher.«
»Okay«, sagte ich. »Deshalb sind wir ja rausgegangen. Aber beantworten Sie mir noch eine Frage. Wie viele Morde haben Sie bisher hier in Margrave gehabt?«
Er dachte darüber nach. Zuckte die Achseln.
»Keine«, sagte er. »Zumindest in den letzten dreißig Jahren nicht. Ich schätze, seit der Bürgerrechtsbewegung keine mehr.«
»Und jetzt haben Sie vier in vier Tagen. Und ziemlich bald werden Sie den fünften entdecken.«
»Den fünften? Wer soll der fünfte sein?«
»Hubble«, sagte ich. »Mein Bruder, dieser Sherman Stoller, die beiden Morrisons und Hubble sind fünf. Kein einziger Mord in dreißig Jahren, und jetzt haben Sie fünf auf einmal. Das kann doch kein Zufall sein, oder?«
»Sicher nicht. Natürlich nicht. Sie stehen miteinander in Verbindung.«
»Richtig«, sagte ich. »Jetzt zeige ich Ihnen noch ein paar weitere Verbindungen. Aber zuerst müssen Sie etwas begreifen, klar? Ich war hier nur auf der Durchreise. Freitag, Samstag und Sonntag bis zu dem Zeitpunkt, als Sie die Fingerabdrücke von meinem Bruder bekamen, interessierte ich mich in keinster Weise für irgend etwas hier. Ich wollte nur warten und dann so schnell wie möglich von hier verschwinden.«
»Und?«
»Und ich bekam ein paar Dinge zu hören. Hubble hat nur etwas in Warburton erzählt, aber ich habe nicht sonderlich darauf geachtet. Ich war nicht an ihm interessiert, klar? Er hat mir ein paar Sachen erzählt, und ich habe nicht genau zugehört, und wahrscheinlich kann ich mich gar nicht an alles erinnern.«
»Was für Sachen?«
Also erzählte ich ihm das, woran ich mich erinnerte. Ich fing genauso an wie Hubble. Wie er in eine Art Deal geraten war und durch eine Drohung gegen ihn und seine Frau eingeschüchtert wurde. Eine Drohung, die Wort für Wort das beinhaltet hatte, was Finlay am Morgen selbst gesehen hatte.
»Sind Sie sicher? Genau dasselbe?«
»Wort für Wort«, sagte ich. »Vollkommen identisch. An die Wand genagelt, die Eier abgeschnitten, die Frau gezwungen, sie zu schlucken, dann beiden die Kehle durchgeschnitten. Wort für Wort identisch, Finlay. Wenn wir also nicht zwei Typen haben, die zur selben Zeit und am selben Ort mit exakt derselben Drohung arbeiten, dann haben wir eine weitere Verbindung.«
»Also war Morrison am selben Deal beteiligt wie Hubble?«
»Am selben Deal mit denselben Leuten.«
Dann erzählte ich ihm, daß Hubble mit einem Ermittler gesprochen hatte. Und daß der Ermittler mit Sherman Stoller gesprochen hatte, wer auch immer das war.
»Und wer war der Ermittler?« fragte er. »Und wie paßt Joe da hinein?«
»Joe war der Ermittler«, sagte ich. »Hubble erzählte mir, daß der große Mann mit dem glattrasierten Kopf ein Ermittler war, der versucht hatte, ihn da rauszuholen.«
»Was für eine Art Ermittler war Ihr Bruder?« fragte Finlay. »Und für wen zum Teufel hat er gearbeitet?«
»Weiß ich nicht. Das letzte, was ich hörte, war, daß er für das Finanzministerium gearbeitet hat.«
Finlay stieß sich von der Statue ab und wandte sich Richtung Norden.
»Ich muß ein paar Anrufe machen«, sagte er.
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