Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht
sein.«
Newman zuckte mit den Schultern. »Die Bergungen sind unglaublich schwierig. Das können Sie sich gar nicht vorstellen. Das Gelände, die Bürokratie. Wir haben den Krieg verloren, das müssen Sie berücksichtigen. Dort diktieren die Vietnamesen uns ihre Bedingungen. Die Bergung wird gemeinsam durchgeführt, aber sie kontrollieren sie. Das Ganze ist eine ständige Abfolge von Manipulationen und kalkulierten Demütigungen. Wir dürfen keine Uniform tragen, weil sie behaupten, ihr Anblick könnte die Landbevölkerung traumatisieren. Sie bestehen darauf, dass wir als Transportmittel ihre Hubschrauber chartern - Millionen und Abermillionen Dollar für klapprige alte Mühlen, die nicht halb so leistungsfähig sind wie unsere Maschinen. In Wirklichkeit kaufen wir diese alten Knochen zurück, und sie setzen den Preis fest. Tatsache ist, dass die Vereinigten Staaten gegenwärtig über drei Millionen Dollar für jede einzelne Identifizierung zahlen, die wir vornehmen, und das macht mich verdammt wütend.«
Fünfzehn Uhr vierundfünfzig. Newman seufzte gedankenverloren.
»Aber Sie haben die Absturzstelle gefunden?«, erkundigte sich Reacher.
»Sie sollte irgendwann in der Zukunft erkundet werden«, sagte Newman. »Wir kannten ihre ungefähre Lage und wussten genau, was wir dort finden würden, deshalb war die Sache nicht besonders dringend. Aber um Leon einen Gefallen zu tun, bin ich rübergeflogen und hab mit den Vietnamesen verhandelt, um diese Bergung vorzuziehen. Ich wollte, dass sie auf Platz eins der Liste kommt. Das war ziemlich schwierig zu erreichen. Sobald die Vietnamesen mitbekommen, dass man etwas Bestimmtes will, stellen sie sich stur wie der Teufel. Undurchschaubar. Ja, das sind diese Leute.«
»Aber Sie haben die Absturzstelle gefunden?«, fragte Jodie.
»In verdammt schwierigem Gelände«, erwiderte Newman. »Wir haben mit DeWitt in Wolters gesprochen, und er hat uns geholfen, die Position einigermaßen genau zu bestimmen. Der abgelegenste Ort, den man sich vorstellen kann. Gebirgig und unzugänglich. Ich wette, dass dort noch nie ein Mensch seinen Fuß hingesetzt hat. Eine albtraumhafte Expedition. Aber in einer Beziehung war die Absturzstelle okay - völlig unzugänglich und deshalb nicht abgeräumt.«
»Abgeräumt?«, fragte Jodie. »Sie meinen, sie hätte eingeebnet sein können?«
Newman schüttelte den Kopf. »Nein, ich meine abgeräumt wie ausgeplündert. Was irgendwie zugänglich war, haben die Einheimischen schon vor dreißig Jahren abgeräumt. Sie ließen Erkennungsmarken, Dienstausweise, Helme und weitere Souvenirs mitgehen, aber vor allem waren sie auf die Metalle scharf. Hauptsächlich an Absturzorten von Flugzeugen, weil dort Gold und Platin zu finden war.«
»Welches Gold?«, fragte sie.
»In der Elektronik«, antwortete Newman. »In einer F-4 Phantom stecken beispielsweise Edelmetalle für ungefähr fünftausend Dollar. Die Einheimischen haben sie rausgeholt und an Aufkäufer verhökert. Kaufen Sie irgendwo in Bangkok billigen Schmuck, stammt das Gold wahrscheinlich aus der Elektronik alter US-Jagdbomber.«
»Was haben Sie dort oben gefunden?«, wollte Reacher wissen.
»Alles an der Absturzstelle war relativ gut erhalten«, sagte Newman, »Die Huey war zertrümmert und korrodiert, aber noch gut erkennbar. Die Leichen waren natürlich völlig skelettiert, die Uniformen schon vor Jahren zerfallen. Aber sonst fehlte nichts. Sie hatten alle noch ihre Erkennungsmarken umhängen. Wir haben sie eingepackt und mit Hubschraubern nach Hanoi gebracht und anschließend in einem Starlifter mit allen militärischen Ehren hierher überführt. Das alles hat insgesamt drei Monate gedauert - eines der zeitlich kürzesten Bergungsunternehmen. Und die Identifizierungen werden eine bloße Formalität sein, weil wir ihre Erkennungsmarken haben. Diesmal gibt’s keine Arbeit für den Knochendoktor. Wir können das Verfahren sofort abschließen. Mir tut’s nur Leid, dass Leon das nicht mehr erleben durfte. Für ihn wäre das eine Beruhigung gewesen.«
»Die Leichen sind hier?«, fragte Reacher.
Newman nickte. »Sie liegen gleich nebenan.«
»Können wir sie sehen?«, sagte Reacher.
Newman nickte erneut. »Das dürfen Sie eigentlich nicht, aber Sie sollten es.«
Dann stand Newman auf und deutete in Richtung Tür. Auf dem Korridor begegneten sie Oberleutnant Simon. Er nickte ihnen freundlich distanziert zu.
»Wir gehen ins Labor«, erklärte Newman.
»Ja, Sir«, sagte Simon. Er verschwand in
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