Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht
Philippinen. Im Garten hinter dem Haus Ihres Vaters. Ich weiß noch, wie Sie mir ein Glas Planter’s Punch gebracht haben. Das Glas war groß, und der Garten auch, und Sie waren ein sehr kleines Mädchen. Sie haben das Glas mit beiden Händen getragen und sich so darauf konzentriert, nichts zu verschütten, dass Sie ein wenig die Zunge herausgestreckt haben.«
Sie lächelte. »Sie haben Recht, daran kann ich mich leider nicht erinnern. Ich war damals drei? Das ist nun wirklich lange her.«
Newman nickte. »Deshalb habe ich mich erkundigt, wie alt Sie sind. Der Sergeant sollte Sie aber nicht direkt danach fragen, schließlich gehört sich das nicht, oder? Ich wollte nur seine subjektive Einschätzung hören und erfahren, ob das wirklich Leons Tochter ist, die mich besuchen kommt.«
Er drückte ihr nochmals die Hand, wandte sich Reacher zu und schlug ihm auf die Schulter.
»Jack Reacher«, sagte er. »Ich freue mich, Sie mal wieder zu sehen.«
Reacher ergriff Newmans Hand und schüttelte sie, ebenfalls sichtlich erfreut.
»General Newman war vor vielen Jahren Dozent an der Militärakademie und mein Lehrer. Gerichtsmedizin und Kriminaltechnik, hat mir alles beigebracht, was ich darüber weiß«, erklärte er Jodie.
»Er war ein ziemlich guter Student«, sagte Newman zu ihr. »Hat zumindest aufgepasst, was mehr war, als man von den meisten behaupten konnte.«
»Was machen Sie also, General?«, fragte Jodie.
»Nun, mein Arbeitsgebiet ist die forensische Anthropologie«, erwiderte Newman.
»Auf seinem Gebiet ist er Weltspitze«, sagte Reacher.
Newman wehrte das Kompliment mit einer Handbewegung ab. »Na, na, ich weiß nicht...«
»Anthropologie?«, fragte Jodie. »Aber ist das nicht die Wissenschaft vom Menschen und seiner Entwicklung, die sich mit Eingeborenenstämmem in fernen Ländern, ihrer Lebensweise, ihren Sitten und ihrer Religion beschäftigt?«
»Nein, das ist kulturelle Anthropologie«, entgegnete Newman. »Es gibt verschiedene Disziplinen. Meine ist die forensische Anthropologie, die zur physischen Anthropologie gehört.«
»Die Untersuchung der sterblichen Überreste von Menschen, um Hinweise auf die Todesursache zu finden«, sagte Reacher erklärend.
»Ein Knochendoktor«, meinte Newman. »Darauf läuft’s ungefähr hinaus.«
Sie waren inzwischen weitergegangen und standen nun vor der Stahltür in der fensterlosen Giebelwand des Laborgebäudes. Die Tür öffnete sich. Auf dem Korridor dahinter wartete ein eher unscheinbarer Mann um die Mitte zwanzig auf sie, der unter seinem weißen Labormantel die Uniform eines Oberleutnants trug. Newman nickte zu ihm hinüber. »Das ist Oberleutnant Simon. Er leitet das Labor für mich. Ohne ihn wäre ich aufgeschmissen.«
Er machte Simon mit Jodie und Reacher bekannt, die ihm die Hand schüttelten. Der Oberleutnant wirkte still und zurückhaltend. Reacher hielt ihn für einen typischen Laborwissenschaftler, der die Unterbrechung seiner Arbeit durch Besucher als lästig empfand. Newman führte sie den Korridor entlang zu seinem Dienstzimmer. Simon nickte ihnen wortlos zu und verschwand.
»Nehmen Sie bitte Platz«, sagte Newman, während er sich selbst an seinen Schreibtisch setzte.
»Sie sind also eine Art Pathologe?«, fragte Jodie.
Newman wiegte den Kopf. »Nun, ein Pathologe ist Mediziner, was wir Anthropologen nicht sind. Wir haben Anthropologie studiert, sonst nichts. Die physische Struktur des menschlichen Körpers, das ist unser Fachgebiet. Wir arbeiten natürlich beide post mortem, aber im Allgemeinen kann man sagen, dass für eine relativ frische Leiche ein Pathologe zuständig ist, während wir hinzugezogen werden, wenn nur noch ein Skelett übrig ist. Deshalb bin ich ein Knochendoktor.«
Jodie nickte.
»Das ist natürlich eine gewisse Vereinfachung«, erklärte Newman. »Auch eine frische Leiche kann Fragen in Bezug auf ihre Knochen aufwerfen. Zum Beispiel wenn Gliedmaßen abgetrennt sind. Dann würde der Pathologe sich an uns wenden. Wir können die Sägespuren an den Knochen untersuchen, ihm sagen, ob der Täter stark oder schwach war, was für eine Säge er benutzt hat, ob er Rechts- oder Linkshänder war - solche Dinge. Aber in neunundneunzig von hundert Fällen arbeite ich an Skeletten. An trockenen, alten Knochen.«
Newman lächelte amüsiert. »Und Pathologen können mit alten Knochen nicht das Geringste anfangen. Sie haben keinen blassen Schimmer. Manchmal frage ich mich, was, zum Teufel, man ihnen auf der Universität eigentlich
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