Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht
Mann einen Sarg aus? Anfangs mit sturer Beharrlichkeit, später mit Hilfe von Einheimischen. Er hatte den Sarg schon fast freigelegt, als er entdeckt wurde. Der Deckel war in dem flachen Grab deutlich zu sehen, als die vietnamesische Militärstreife ihn überraschte. Er rechnete damit, erschossen zu werden. Doch das geschah nicht, und er machte eine Entdeckung, die zu den größten seines Lebens zählte. Die Soldaten wichen ängstlich vor ihm zurück. Sie wussten nicht, wer er war. Was er war. Die schrecklichen Verbrennungen hatten ihm seine Identität geraubt. Er trug ein schmutziges, zerrissenes Nachthemd aus dem Lazarett und sah nicht wie ein Amerikaner aus. Er sah überhaupt nicht wie ein Mensch aus. Er erkannte, dass sein schreckliches Aussehen und sein wildes Benehmen in Kombination mit einem Sarg einen starken Eindruck auf jeden machten, der ihn zu Gesicht bekam. Angst vor Tod, Leichen und Wahnsinn machte die Menschen passiv. Er begriff sofort, dass diese Leute alles für ihn tun würden, solange er den Verrückten spielte und sich an seinen Sarg klammerte. Ihr traditioneller Aberglaube wirkte sich zu seinen Gunsten aus. Die Militärstreife grub seinen Sarg ganz aus und lud ihn auf einen Büffelkarren. Er saß hoch oben auf dem Sarg, redete wirres Zeug und deutete nach Westen, während sie ihn gehorsam in Richtung Kambodscha brachten.
Er wurde von einer Gruppe zur anderen weitergereicht und gelangte in nur vier Tagen nach Kambodscha. Um ihn zu besänftigen und ihre Urängste zu bekämpfen, fütterten sie ihn mit Reis, gaben ihm Wasser zu trinken und kleideten ihn in eine Art schwarzen Schlafanzug. Dann beförderten die Kambodschaner ihn weiter. Er hockte auf schwankenden Karren, plapperte wie ein Äffchen und wies nach Westen. Zwei Monate später war er in Thailand. Die Kambodschaner hievten seinen Sarg über die Grenze, machten kehrt und hasteten eilig davon.
Thailand war anders. Als er die Grenze überschritt, hatte er das Gefühl, aus der Steinzeit in die Moderne zu treten. Hier gab es Straßen und Fahrzeuge. Auch die Menschen waren anders. Der brabbelnde, von Brandwunden entstellte Einarmige mit dem Sarg weckte Sorge und Mitgefühl. Er stellte keine Bedrohung dar. Er wurde von alten Chevrolet-Pick-ups und Peugeot-Lastwagen mitgenommen und innerhalb von zwei Wochen mit allem sonstigen Treibgut aus dem Fernen Osten in die Kloake namens Bangkok geschwemmt.
Dort lebte er ein Jahr. Er vergrub den Sarg auf dem winzigen Grundstück hinter der Hütte, die er sich mietete, mit einem auf dem schwarzen Markt erstandenen Klappspaten der U.S. Army Mit dem Schanzzeug kam er zurecht. Es war dafür konstruiert, einhändig benutzt zu werden, während die andere Hand ein Gewehr hielt.
Sobald sein Geld wieder in Sicherheit war, machte er sich auf die Suche nach Ärzten, die es in Bangkok zur Genüge gab. Gin trinkende Relikte des britischen Kolonialreichs, die keine Arbeit mehr hatten, aber an nüchternen Tagen ausreichend kompetent waren. Für sein Gesicht konnten sie nicht allzu viel tun. Ein Chirurg stellte sein Augenlid so weit wieder her, dass es sich fast schließen ließ, und damit hatte es sich. Aber sie nahmen sich seinen Arm gründlich vor. Schnitten den Stumpf wieder auf und feilten die Knochen glatt und rund. Beschnitten die Muskeln und zogen die Haut straff darüber. Nähten alles wieder zu. Ließen die Wunde einen Monat abheilen und schickten ihn anschließend zu einem Mann, der Prothesen anfertigte.
Dieser bot ihm verschiedene Modelle zur Auswahl an. Zu allen gehörten ein um den Bizeps zu tragendes Lederkorsett, angenietete Lederriemen und ein Lederformstück, das seinen Armstumpf eng umschloss. Aber es gab verschiedene Anhängsel: eine hölzerne Hand, kunstvoll geschnitzt und von der Tochter ebenso kunstvoll bemalt; ein dreizinkiges Ding, das an irgendeine Art Gartengerät erinnerte. Aber er entschied sich für den schlichten Haken, obwohl er das nicht hätte begründen können. Der Mann schmiedete ihn aus rostfreiem Stahl und polierte ihn tagelang. Er schweißte ihn an eine Art Stahltrichter, um den herum er ein Formstück aus schwerem Leder anfertigte. Dann schnitzte er den Armstumpf aus Holz nach, hämmerte das Leder darüber, bis es dessen Form annahm, und tränkte es mit Harzen, damit es steif wurde. Er nähte das Lederkorsett, brachte die Riemen und Schnallen an, passte es sorgfältig an und verlangte fünfhundert Dollar dafür.
Er verbrachte den Rest dieses Jahres in Bangkok. Anfangs rieb die
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