Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht
er nun vor Hobie legte. Er verließ den Raum und schloss leise die Tür hinter sich. Hobie benutzte seinen Haken, um den Ordner zu sich heranzuziehen.
»Sehen Sie mal rein«, forderte er Stone auf.
Stone griff nach dem Ordner und schlug ihn auf. In einer Klarsichthülle steckten Fotos. Mehrere Vergrößerungen im Format achtzehn mal vierundzwanzig Zentimeter, schwarzweiße Hochglanzbilder. Auf dem ersten Foto war sein Haus zu sehen. Offensichtlich aus einem Wagen aufgenommen, der in der Einfahrt gestanden hatte. Das zweite Foto zeigte seine Frau. Marilyn. Mit einem Teleobjektiv festgehalten, als sie durch den Blumengarten ging. Auf dem dritten Foto kam Marilyn aus ihrem Schönheitssalon in der Stadt. Ein grobkörniges, ebenfalls mit einem Tele fotografiertes Bild. Heimlich gemacht wie bei einer Personenüberwachung. Das vierte Foto war eine Nahaufnahme des Kennzeichens ihres BMWs.
Das fünfte Foto zeigte wieder Marilyn. Nachts durch ihr Schlafzimmerfenster aufgenommen. Sie trug einen Bademantel. Ihr Haar war nicht aufgesteckt und sah feucht aus. Stone starrte auf das Bild. Um so eine Aufnahme zu schießen, musste der Fotograf auf dem Rasen hinter ihrem Haus gestanden haben. Das Foto verschwamm vor seinen Augen, und die Stille summte in seinen Ohren. Dann schob er die Fotos zusammen und klappte den Ordner zu. Legte ihn langsam auf den Schreibtisch zurück. Hobie beugte sich nach vorn und drückte die Spitze seines Hakens in den grünen Umschlagkarton, um ihn zu sich heranzuziehen. In der Stille klang das scharrende Geräusch unnatürlich laut.
»Das ist meine Sicherheit, Mr. Stone«, sagte er. »Aber wie Sie mir gerade erklärt haben, gibt’s bestimmt kein Problem.«
Chester Stone schwieg. Stand nur auf und schlängelte sich zwischen all den Möbeln hindurch zur Tür. Ging durch den Empfangsbereich und den Korridor entlang zum Aufzug. Fuhr die siebenundachtzig Stockwerke hinunter und trat unten ins Freie, wo die helle Morgensonne sein Gesicht wie ein Faustschlag traf.
3
Dieselbe Sonne wärmte Reacher den Nacken, als er auf dem Rücksitz eines nicht lizenzierten Taxis nach Manhattan unterwegs war. Hatte er die Wahl, nahm er am liebsten ein Taxi, dessen Fahrer keinen Taxischein besaß. Das kam seiner Angewohnheit entgegen, möglichst wenig von sich preiszugeben. Dass jemand versuchen würde, seine Fährte aufzunehmen, indem er Taxifahrer befragte, war höchst unwahrscheinlich, aber ein Taxifahrer, der geleugnet hätte, einer zu sein, war sicherer als jeder andere. Und so hatte er auch Gelegenheit, ein wenig um den Fahrpreis zu feilschen. Mit dem Taxameter eines Yellow Cab ließ sich nicht gut handeln.
Sie kamen über die Triborough Bridge und fuhren auf der 125th Street nach Manhattan. Folgten dem Verkehrsstrom nach Westen bis zum Roosevelt Square, Dort ließ Reacher den Fahrer am Bordstein halten, während er sich umsah und kurz nachdachte. Er suchte ein billiges Hotel, aber er wollte eines mit funktionierenden Telefonen. Und vollständigen Telefonbüchern. Seiner Einschätzung nach würden alle drei Wünsche sich in diesem Teil Manhattans nicht erfüllen lassen. Aber er stieg trotzdem aus und entlohnte den Fahrer. Er hatte noch kein bestimmtes Ziel, aber er würde die letzte Etappe zu Fuß zurücklegen. Eine Zeit, in der er allein unterwegs war. Das kam seiner Gewohnheit entgegen.
Die beiden jungen Männer in verknitterten Tausenddollaranzügen warteten, bis Chester Stone zum Aufzug gegangen war. Dann betraten sie das Büro und blieben schweigend vor dem Schreibtisch stehen. Hobie warf ihnen einen Blick zu, dann öffnete er eine Schreibtischschublade, schob die unterzeichneten Verträge und den Ordner mit den Fotos hinein und nahm einen neuen Schreibblock mit gelbem Papier heraus. Er legte seinen Haken auf die Schreibtischplatte und drehte seinen Sessel so zur Seite, dass der durch die Jalousien einfallende schwache Lichtschein die unverletzte Hälfte seines Gesichts erhellte.
»Nun?«
»Wir kommen gerade zurück«, begann der erste Kerl.
»Habt ihr die Informationen, die ich wollte?«
Der zweite Kerl nickte. Ließ sich auf ein Sofa fallen.
»Er war auf der Suche nach einem gewissen Jack Reacher.«
Hobie notierte sich den Namen auf seinem gelben Schreibblock. »Wer ist er?«
Kurzes Schweigen.
»Wissen wir nicht«, sagte der erste Kerl.
Hobie nickte. »Wer war Costellos Auftraggeberin?«
Wieder kurzes Schweigen.
»Wissen wir auch nicht«, sagte der Kerl.
»Das sind ziemlich grundlegende Fragen«,
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