Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht
du?«
»Komm zur Firma CCT im World Trade Center, Südturm, siebenundachtzigster Stock, okay?«
»Es wird ziemlicher Verkehr sein. Sagen wir zweieinhalb Stunden, dann bin ich da.«
»Wunderbar«, sagte sie.
»Ist bei dir wirklich alles in Ordnung?«, fragte er wieder.
Hobie ließ den Revolver sehen.
»Mir geht’s gut«, antwortete sie. »Ich liebe dich.«
Hobie beugte sich nach vorn und unterbrach die Verbindung mit der Spitze seines Hakens. Ein Klicken, dann war wieder der Wählton zu hören. Sie legte den Hörer auf die Konsole zurück und war wie vor den Kopf geschlagen.
»Zweieinhalb Stunden*, sagte Hobie mit gespieltem Mitgefühl. »Nun, es sieht so aus, als käme die Kavallerie für Sie zu spät, Mrs. Jacob.«
Er lachte in sich hinein und steckte den Revolver wieder in seine Jackentasche. Stand auf und packte Jodie am Arm. Sie stolperte, und er zerrte sie in Richtung Bürotür. Sie bekam den Rand der Theke zu fassen und klammerte sich daran fest. Hobie schlug mit der Außenseite seines Hakens zu. Der gekrümmte Teil traf sie oben an der Schläfe, und ihre Finger wurden kraftlos. Als ihre Knie nachgaben und sie zusammensackte, zerrte er sie am Arm hinter sich her zur Tür. Ihre Absätze klapperten und scharrten über den Fußboden. Er stieß sie ins Büro hinein. Jodie blieb auf dem Teppich liegen, und er knallte die Tür zu.
»Zurück aufs Sofa!«, knurrte er.
Die Sonnenstrahlen fielen nun nicht mehr auf den Schreibtisch, sondern hatten bereits den Couchtisch erreicht. Die lackierten Nägel von Marilyn Stones gespreizten Fingern leuchteten in ihrem Licht. Jodie kroch auf allen vieren weiter, zog sich an der Sofalehne hoch und ließ sich auf ihren Platz neben Curry fallen. Sie legte ihre Hände wie zuvor auf die Glasplatte. In ihrer Schläfe pochte ein dumpfer Schmerz, da wo der Stahl ihren Knochen getroffen hatte. Ihre Schulter schmerzte. Der Kerl mit der Schrotflinte beobachtete sie. Auch Tony, der wieder seine Pistole in der Hand hielt, ließ sie nicht aus den Augen.
Hobie ordnete hinter seinem Schreibtisch stehend die Aktien. Die Papiere bildeten einen zehn Zentimeter hohen Stapel. Die schweren Stahlstichurkunden ließen sich gut zusammenschieben.
»Der Mann von UPS muss jeden Augenblick kommen«, sagte er zufrieden. »Dann bekommen die Investoren ihre Aktien und ich mein Geld und habe wieder mal gewonnen. Ungefähr noch eine halbe Stunde, dann ist alles vorbei - für mich und auch für euch.«
Jodie wurde klar, dass er nur mit ihr sprach. Er hatte sie für die Übermittlung von Informationen ausgewählt. Curry und das Ehepaar Stone beobachteten sie, nicht ihn. Sie sah weg und starrte durch die Glasplatte auf den Teppich unter dem Couchtisch. Er hatte das gleiche Muster wie der abgetretene Teppich in DeWitts Dienstzimmer in Fort Wolters, aber er war viel kleiner und neuer. Hobie ließ den Aktienstapel auf dem Schreibtisch liegen, kam hinter dem Möbelstück hervor und nahm dem Kerl mit der Schrotflinte die Waffe ab.
»Hol mir einen Kaffee«, befahl er ihm.
Der Kerl nickte und verschwand nach draußen. In dem abgedunkelten Büro herrschte wieder Schweigen. Hobie hielt die Schrotflinte in der linken Hand. Sie zielte auf den Fußboden. Schwang langsam in einem kleinen Bogen hin und her. Ein lockerer Griff. Sie bemerkte, dass Curry sich umsah. Er vergewisserte sich, wo Tony stand. Tony war einen Meter zurückgetreten. Hatte das Schussfeld der Schrotflinte verlassen und stand im rechten Winkel dazu. Seine Pistole war schussbereit erhoben. Jodie spürte, wie Curry ein wenig seine Schultern bewegte und seine Armmuskeln anspannte. Sie sah, wie er Tony beobachtete, der etwa dreieinhalb Meter vor ihm stand, und dann nach links zu Hobie blickte, der etwa zweieinhalb Meter entfernt war. Sie sah die Sonnenstrahlen, die genau parallel zu den Messingkanten des Couchtischs verliefen. Und sie sah, wie Curry sich auf seinen Fingerspitzen hochstemmte.
»Nein«, hauchte sie.
Leon hatte sich das Leben stets durch Regeln vereinfacht. Für jede Situation gab es eine bestimmte Regel. In ihrer Jugend hatte er sie damit fast zum Wahnsinn getrieben. Seine Universalregel für alles, von ihren Seminararbeiten bis zu seinen Aussagen bei Anhörungen in Washington, lautete: Mach’s einmal und mach’s richtig. Curry hatte keine Chance, es richtig zu machen. Nicht die geringste. Er würde ins Kreuzfeuer zweier großkalibriger Waffen geraten. Seine vermeintlichen Optionen existierten nicht. Sprang er auf und setzte über
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