Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht
waren. Aber es schien ziemlich gut bewacht zu sein. Unmittelbar hinter der Drehtür lag eine breite Empfangstheke, an der uniformierte Wachleute Dienst taten. Die hohe Glastrennwand zum eigentlichen Foyer vor den Aufzügen hatte nur eine Tür, die von der Theke aus entriegelt werden konnte. So kam niemand hinein, den die Wachleute nicht einlassen wollten. Vielleicht war sie dort wirklich sicher. Das würde vom Pflichtbewusstsein des Wachpersonals abhängen. Er sah Jodie mit einem Wachmann reden. Dann ging sie zur Tür in der Trennwand, und, als diese geöffnet wurde, weiter zu den Aufzügen. Sie trat rückwärts in die Kabine. Die Tür schloss sich wieder.
Reacher stellte den Motor ab, betätigte die Zentralverriegelung und schlängelte sich durch den Verkehr auf die andere Straßenseite. Er betrat das Gebäude durch die Drehtür und ging Richtung Empfang, als sei das die natürlichste Sache der Welt. Suchte sich den ältesten der Wachleute aus. Die waren meist die Nachlässigsten. Die jüngeren Leute hofften noch, durch Diensteifer aufzufallen und befördert zu werden.
»Spencer Gutman erwartet mich«, sagte er mit einem Blick auf seine Armbanduhr.
»Name?«, fragte der Alte.
»Lincoln«, antwortete Reacher.
Der Mann war grauhaarig und wirkte müde, aber er hielt sich an seine Vorschriften. Er zog ein Klemmbrett aus einem Schlitz in der Theke und studierte eine Liste.
»Haben Sie einen Termin?«
»Sie haben mich gerade angepiepst«, erwiderte Reacher. »Irgendwas Dringendes, schätze ich.«
»Lincoln wie das Auto?«
»Wie der Präsident«, sagte Reacher.
Der Alte nickte und fuhr mit seinem dicken Zeigefinger eine lange Namenliste hinunter.
»Sie stehen nicht auf meiner Liste«, sagte er. »Ich kann Sie nicht reinlassen.«
»Ich arbeite für Costello«, sagte Reacher. »Oben brauchen sie mich dringend.«
»Ich könnte raufrufen«, sagte der Mann. »Wer hat Sie angepiepst?«
Reacher zuckte mit den Schultern. »Mr. Spencer, vermute ich. Mit dem habe ich meistens zu tun.«
Der Wachmann machte ein beleidigtes Gesicht. Steckte das Klemmbrett in seinen Schlitz zurück.
»Mr. Spencer ist schon zehn Jahre tot«, sagte er. »Wenn Sie hier reinwollen, lassen Sie sich einen richtigen Termin geben, okay?«
Reacher nickte. Das Gebäude wurde gut bewacht. Er machte auf dem Absatz kehrt und ging zu seinem Wagen zurück.
Marilyn Stone wartete, bis Chesters Mercedes außer Sicht war, lief dann ins Haus zurück und machte sich an die Arbeit. Als vernünftige Frau wusste sie, dass in dem bis zu sechs Wochen langen Zeitraum zwischen Angebot und Vertragsabschluß einiges an Arbeit zu leisten war.
Als Erstes rief sie eine Firma für Gebäudereinigung an. Das Haus war bereits tadellos sauber, aber sie wollte einige Möbelstücke entfernen. Ihrer Ansicht nach machte ein Haus mit wenig Mobiliar einen geräumigeren Eindruck. Und einem potentiellen Käufer wurde nicht suggeriert, was darin gut aussah und was nicht.
Wollte sie also Möbel entfernen, benötigte sie die Gebäudereiniger, damit sie etwa verfärbte Stellen auf Teppichböden und Wänden entfernten. Außerdem brauchte sie eine Spedition, um die überzähligen Möbel irgendwo einzulagern. Dann rief sie die Gärtner und auch den Swimmingpool-Service an. Diese Leute sollten bis auf Weiteres jeden Morgen für eine Stunde kommen. Sie wollte, dass Pool und Garten absolut top aussahen. Selbst in dieser Preisklasse war der erste Eindruck vom Gartenzaun aus entscheidend.
Dann versuchte sie sich an weitere Dinge zu erinnern, von denen sie gelesen oder gehört hatte. Blumen, natürlich, überall Vasen mit Blumen. Sie rief die Floristin an. Ihr fiel ein, dass jemand mal gesagt hatte, Untertassen mit Fensterputzmittel neutralisierten all die kleinen unerwünschten Gerüche, die es in jedem Haus gab. Das hatte irgendwas mit dem Ammoniakgehalt zu tun. Und eine Hand voll Kaffeebohnen in einem heißen Backofen erzeuge einen wunderbar heimeligen Duft. Also deponierte sie in ihrer Krimskramsschublade in der Küche eine frische Packung. Legte sie jedes Mal ein paar Bohnen in den Backofen, wenn Sheryl anrief, um zu sagen, sie sei mit Interessenten unterwegs, musste das aromamäßig hinkommen.
8
Chester Stones Tag begann auf normale Weise. Er fuhr zur gewohnten Zeit ins Büro. Die Sonne schien, wie man’s im Juni erwarten konnte. Seine Fahrt in die Stadt verlief normal. Normaler Verkehr, nicht mehr, nicht weniger. Die üblichen Straßenhändler mit Rosen oder Zeitungen auf den
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