Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht
auf welches Sofa er sich setzen sollte.
»Sie bleiben stehen«, sagte Tony
»Wie bitte?«, fragte Stone.
»Sie bleiben für die Dauer dieser Unterredung stehen.«
»Wie bitte?«, wiederholte Stone verblüfft.
»Genau hier vor dem Schreibtisch.«
Stone stand einfach nur da, brachte kein Wort heraus.
»Arme anlegen«, sagte Tony »Brust raus, Schultern zurücknehmen.«
Das sagte er ruhig, halblaut, in nüchternem Tonfall, ohne sich dabei zu bewegen. Danach herrschte Stille. Seine Augen gewöhnten sich allmählich an die Dunkelheit. Er konnte die Kratzer sehen, die Hobies Haken auf der Schreibtischplatte hinterlassen hatte. Sie bildeten ein tief ins Holz eingegrabenes, wirres Muster. Die Stille brachte ihn durcheinander. Er hatte keine Ahnung, wie er auf diese Situation reagieren sollte. Es war demütigend, hier zu stehen. Entwürdigend, weil der Befehl dazu von einem verdammten Rezeptionisten kam. Ihm war bewusst, dass er sich hätte wehren, sich auf eines der Sofas setzen sollen. Den Kerl ignorieren. Tu ’s einfach. Setz dich hin und zeig ihm, wer hier der Boss ist. Setz dich, verdammt noch mal, forderte er sich selbst auf. Aber seine Beine wollten ihm nicht gehorchen. Er war wie gelähmt, starr vor Empörung und Demütigung. Und vor Angst.
»Sie tragen Mr. Hobies Jackett«, sagte Tony. »Würden Sie es bitte ausziehen?«
Stone glotzte ihn an. Dann sah er auf sein Jackett. Es gehörte zu seinem Anzug aus der Savile Row. Er stellte fest, dass er das erste Mal in seinem Leben denselben Anzug wie am Tag zuvor trug.
»Das ist mein Jackett«, entgegnete er.
»Nein, es gehört Mr. Hobie.«
Stone schüttelte den Kopf. »Ich habe diesen Anzug in London gekauft. Das ist eindeutig mein Jackett.«
Tony lächelte in der Dunkelheit.
»Sie kapieren’s nicht, was?«, meinte er.
»Was kapieren?«, fragte Stone verständnislos.
»Dass Sie jetzt Mr. Hobie gehören. Mit Haut und Haar. Und alles, was Sie besitzen, gehört ihm.«
Stone starrte ihn weiter an.
»Ziehen Sie also Mrs. Hobies Jackett aus«, sagte Tony ruhig.
Stone machte den Mund auf und zu, brachte aber keinen Ton heraus.
»Ziehen Sie’s aus«, forderte Tony ihn erneut auf. »Sie sollten nicht ein Jackett tragen, das einem anderen Mann gehört.«
Obwohl seine Stimme ruhig klang, war ihr drohender Unterton unüberhörbar. Stones Gesicht war schreckensstarr, aber dann begannen seine Arme sich plötzlich zu bewegen, als würden sie nicht mehr von seinem Bewusstsein gesteuert. Er riss sich das Jackett vom Leib und hielt es dem Kerl hin.
»Legen Sie’s bitte auf den Schreibtisch«, sagte Tony.
Stone tat, wie ihm geheißen. Tony zog es näher zu sich heran und leerte systematisch die Taschen. Dann stapelte er ihren Inhalt zu einem kleinen Haufen, knüllte das Jackett zusammen und warf es lässig über den Schreibtisch aufs linke Sofa.
Er griff nach dem Montblanc-Füller, schob anerkennend die Unterlippe vor und steckte ihn in seine Hemdtasche. Danach nahm er sich die Schlüssel vor, breitete sie vor sich auf der Schreibtischplatte aus und begutachtete einen nach dem anderen. Pickte den Autoschlüssel heraus und hielt ihn zwischen Daumen und Zeigefinger hoch.
»Mercedes?«
Stone nickte.
»Modell?«
»Fünfhundert SEL«, murmelte Stone.
»Neu?«
Stone zuckte mit den Schultern. »Ein Jahr alt.«
»Farbe?«
»Dunkelblau.«
»Wo?«
»In meinem Bürogebäude«, murmelte Stone. »Auf dem Stellplatz in der Tiefgarage.«
»Den holen wir später ab«, erklärte Tony
Er zog die Mittelschublade auf, ließ die Schlüssel hineinfallen. Schloss die Schublade wieder und griff nach der Geldbörse. Er hielt sie verkehrt herum und kippte den Inhalt aus. Als sie leer war, warf er sie unter den Schreibtisch. Stone hörte, wie sie scheppernd im metallenen Abfallbehälter landete. Tony sah sich flüchtig das Foto von Marilyn an, bevor er es ebenfalls in den Abfallbehälter schmiss. Dann schichtete er die Kreditkarten auf und schob sie mit drei Fingern wie ein Croupier beiseite.
»Ein Typ, den wir kennen, gibt uns hundert Bucks dafür«, sagte er.
Anschließend schob er die Geldscheine zusammen und sortierte sie nach Wert. Er schrieb die Gesamtsumme auf einen Zettel, den er mit einer Büroklammer an dem Packen befestigte. Auch das Bargeld wanderte in die mittlere Schublade.
»Was wollt ihr eigentlich von mir?«, wollte Stone wissen.
Tony sah ihn an.
»Ich möchte, dass Sie Mr. Hobies Krawatte abnehmen«, sagte er.
Stone zuckte hilflos mit den
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