Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht
Plätzen vor den Mautstationen. Der relativ flüssige Verkehr die ganze Halbinsel Manhattan hinunter, der ihm bewies, dass er genau den richtigen Zeitpunkt erwischt hatte, wie meist. Er parkte auf seinem gemieteten Stellplatz in der Tiefgarage und fuhr mit dem Aufzug in sein Büro. Dann hörte sein Tag auf, normal zu sein.
Die Büros waren verlassen. Als ob sein Unternehmen über Nacht zu existieren aufgehört hätte. Die Angestellten waren alle verschwunden - wie Ratten von einem sinkenden Schiff. Auf einem entfernten Schreibtisch klingelte ein Telefon. Niemand nahm ab. Alle Computer waren ausgeschaltet, die Monitore stumpfgraue Quadrate, in denen sich die Leuchtstoffröhren an der Decke spiegelten. In seinem Chefbüro war es immer ruhig, aber als er es heute betrat, schien darin Totenstille zu herrschen.
»Ich bin Chester Stone«, sagte er in die Stille hinein, nur um einen Laut zu hören, aber es gab kein Echo, weil der hochflorige Teppichboden und die Raufasertapete den Schall verschluckten. Seine Stimme verlor sich einfach im Nichts.
»Scheiße«, sagte er.
Er war wütend. Vor allem auf seine Sekretärin. Sie hatte viele Jahre lang bei ihm gearbeitet, und von ihr hätte er erwartet, dass sie loyal war. Aber sie hatte ihn im Stich gelassen wie alle anderen. Sie hatte die Gerüchte aus der Finanzabteilung gehört, die Firma sei pleite, ihre Gehaltsschecks würden platzen, und ein paar alte Akten aus einem Karton gekippt, die Fotos ihrer Neffen in den billigen Messingrahmen, ihre schäbige alte Grünlilie von ihrem Schreibtisch und ihren Ramsch aus den Schubladen eingepackt und alles mit der U-Bahn in ihre hübsche kleine Wohnung transportiert, wo immer die sich auch befand. In ihre hübsche kleine Wohnung, die sie in besseren Zeiten von seinen Gehaltsschecks gekauft und eingerichtet hatte. Dort würde sie jetzt im Bademantel sitzen, Kaffee trinken und in den Stellenanzeigen der Zeitungen blättern, um sich einen neuen Job zu suchen und nie mehr zu ihm zurückzukehren.
»Scheiße«, sagte er noch mal.
Er machte auf dem Absatz kehrt, stürmte durchs Vorzimmer hinaus und zum Aufzug. Fuhr ins Erdgeschoss und ging mit großen Schritten in den Sonnenschein hinaus. Wandte sich nach Westen und begann vor Wut kochend und mit wild pochendem Herzen loszumarschieren. Die gewaltigen Twin Towers ragten hoch über ihm auf. Er lief schweißgebadet über die Plaza und zu den Aufzügen im Innern. In der Eingangshalle drang die Kälte der klimatisierten Luft durch sein Jackett. Er fuhr mit einem Expressaufzug in den siebenundachtzigsten Stock hinauf, trat aus der Kabine und ging den schmalen Korridor entlang. Dann betrat er zum zweiten Mal innerhalb von vierundzwanzig Stunden Hobies mit Eiche und Messing ausgestatteten Empfangsbereich,
Der Rezeptionist saß hinter der Theke. Auf der anderen Seite des Foyers kam ein stämmiger Mann in einem teuren Anzug mit zwei Bechern in der Hand aus einer kleinen Küche. Stone roch Kaffee. Er sah von einem der Männer zum anderen.
»Ich muss Hobie sprechen«, sagte er.
Sie ignorierten ihn. Der Stämmige trat an die Theke und stellte dem Mann dahinter einen der Becher hin. Dann postierte er sich so, dass er dem Ausgang näher war als Stone. Der Rezeptionist drehte den Kaffeebecher sorgfältig etwas nach rechts, bis sich der Henkel genau dort befand, wo er ihn bequem fassen konnte.
»Ich muss Hobie sprechen«, wiederholte Stone, ohne jemanden anzusehen.
»Mein Name ist Tony«, sagte der Rezeptionist.
Stone wandte sich ihm zu und starrte ihn ausdruckslos an. Der Kerl hatte auf der Stirn eine große rote Beule, die wie eine Prellung aussah. Sein Haar war frisch gekämmt, aber über der linken Schläfe feucht, als habe er sich ein nasses Handtuch an den Kopf gehalten.
»Ich muss Hobie sprechen«, sagte Stone zum dritten Mal.
»Mr. Hobie ist heute nicht im Büro«, erwiderte Tony »Für Ihre Angelegenheiten bin vorläufig ich zuständig. Wir haben einiges zu besprechen, nicht wahr?«
»Ja, das haben wir«, sagte Stone.
»Gehen wir also hinein?«, fragte Tony und stand auf.
Er nickte dem anderen Kerl zu, der um die Theke herumging und sich auf seinen Platz setzte. Tony kam hinter der Theke hervor und ging zur Tür von Hobies Büro. Er hielt sie auf, und Stone trat ein. Die Lamellenjalousien waren wie am Tag zuvor geschlossen. Tony bewegte sich lautlos durchs Dunkel zu Hobies Schreibtisch und setzte sich in den Drehsessel. Stone folgte ihm, blieb dann jedoch stehen, um sich zu überlegen,
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