Jack Reacher 09: Sniper
verschwand dahinter. Er ging in die Hocke und wartete.
Er musste lange warten. Dann kamen die Schritte zurück. Auf dem Gehsteig. In die Einfahrt hinein. Langsam, schleichend, vorsichtig. Der Kerl ging auf Zehenspitzen. Von seinen Schuhabsätzen war nichts zu hören. Nur das leise Knirschen von Ledersohlen auf Steinchen, die auf dem Asphalt lagen. Die Mauern, von denen die Einfahrt auf beiden Seiten begrenzt war, warfen schwache Echos zurück. Der Kerl kam näher, immer näher.
Er kam so nahe, dass er zu riechen war.
Kölnisch Wasser, Schweiß, Leder. Er blieb kaum mehr als einen Meter von Reachers Versteck entfernt stehen und starrte in die Dunkelheit. Reacher dachte: Noch einen Schritt, dann ist mit dir Schluss, Kumpel. Nur noch einen Schritt, dann ist das Spiel für dich aus.
Der Kerl wandte sich ab. Kehrte auf die Straße zurück. Reacher richtete sich auf und folgte ihm rasch und lautlos. Das Blatt hat sich gewendet. Jetzt bin ich hinter dir her. Es wird Zeit, den Jäger zu jagen.
Reacher war größer als die meisten Menschen und in mancher Hinsicht ziemlich ungeschickt, aber er konnte sich leichtfüßig bewegen, wenn er musste, und war schon immer ein guter Beschatter gewesen – eine Fähigkeit, die auf langjähriger Praxis basierte. In erster Linie brauchte man dazu Vorsicht und Weitsicht. Man musste wissen, wann die Zielperson sich langsamer bewegen, stehen bleiben, sich umsehen und den Bereich hinter sich kontrollieren würde. Wusste man das jedoch nicht, musste man übervorsichtig sein. Es war besser, sich zu verbergen und weitere zehn Meter zurückzufallen, als sich zu verraten.
Der Typ in der Lederjacke suchte alle Einfahrten, alle Gassen auf beiden Straßenseiten ab. Nicht gut, aber gründlich genug. Während er sich suchend fortbewegte, erlag er der Illusion, der alle mittelmäßigen Leute erlagen: Ich habe noch nicht versagt. Er ist noch irgendwo vor mir . Er telefonierte zweimal mit seinem Handy. Leise, aber mit deutlich wachsender Erregung in seinem Flüstern. Reacher huschte hinter ihm von einem Schatten zum nächsten und hielt bewusst großen Abstand, weil das heller beleuchtete Ende der Straße näher kam. Der Kerl durchsuchte die möglichen Verstecke jetzt rascher und flüchtiger. Aus seinem ganzen Verhalten sprachen Hoffnungslosigkeit und aufsteigende Panik. Er näherte sich der nächsten Querstraße bis auf wenige Meter, dann hielt er inne und blieb reglos stehen.
Und dann gab er auf. Stand mitten auf dem Gehsteig, lauschte in das Handy, gab eine kurze Antwort und ließ mutlos die Arme sinken. Er lief mit hängenden Schultern geradeaus weiter: schnell, laut und auffällig wie jemand, der nur noch möglichst schnell von A nach B gelangen will. Reacher behielt ihn lange genug im Auge, um sicherzugehen, dass dies kein Trick war. Dann folgte er ihm, indem er lautlos von Schatten zu Schatten huschte.
Raskin ging am Eingang der Sport-Bar vorbei und die Straße entlang weiter. In der Ferne konnte er Linskys und Tschenkos Wagen erkennen. Die beiden Cadillacs parkten hintereinander am Bordstein, warteten auf ihn. Warteten auf den Versager. Warteten auf die Null, als die er sich fühlte. Nun, hier bin ich , dachte er.
Aber Linsky nahm die Sache sehr anständig auf. Vor allem deshalb, weil man den Zec kritisiert hätte, wenn man einen von ihm entsandten Mann tadelte. Und das hätte niemand gewagt.
»Wahrscheinlich ist er irgendwo falsch abgebogen«, meinte Linsky. »Vielleicht wollte er gar nicht in diese Straße und ist durch eine der Gassen zurückgegangen. Oder in eine verschwunden, weil er austreten musste. Hat dadurch Zeit verloren und ist hinter dir rausgekommen.«
»Hast du die Straße hinter dir kontrolliert?«, fragte Wladimir.
»Natürlich«, log Raskin.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Tschenko.
»Ich rufe den Zec an«, sagte Linsky.
»Der wird stinksauer sein«, sagte Wladimir. »Wir hatten den Kerl schon fast.«
Linsky tippte eine Kurzwahlnummer ein. Berichtete von dem Misserfolg und hörte sich die Reaktion an. Raskin beobachtete sein Gesicht. Aber Linskys Miene war wie immer undurchdringlich. Ein auf langer Übung basierendes Verhalten, das lebensnotwendig war. Das Gespräch dauerte nicht lange. Die Antwort war kurz. Unverständlich.
Linsky klappte sein Handy zu.
»Wir suchen weiter«, befahl er. »Im Umkreis von einer halben Meile um die Stelle, wo Raskin ihn zuletzt gesehen hat. Der Zec schickt uns Sokolow. Zu fünft haben wir garantiert Erfolg, sagt
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