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Jack Reacher 09: Sniper

Jack Reacher 09: Sniper

Titel: Jack Reacher 09: Sniper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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Einschusslöcher in seinen Zielscheiben waren wild verteilt, nur waren sie es nicht wirklich . Die Verteilung war nicht völlig zufällig. Er wollte vertuschen, wie gut er tatsächlich war. Er hat auf irgendwelche Stellen der Scheibe gezielt und sie jedes Mal präzise getroffen. Manchmal hat er sich gelangweilt und einen Zehner geschossen. Oder er hat sich eine Stelle außerhalb der Ringe vorgenommen und sie durchlöchert – einmal aus Spaß sogar alle vier Ecken der Scheibe. In Wirklichkeit kommt’s nicht darauf an, welches Ziel man wählt, wenn man’s nur trifft. Dass man auf eine Scheibe mit zehn Ringen schießt, ist halt so Usus. Zur Übung kann man ebenso gut auf eine andere Stelle zielen – zum Beispiel auf einen Baum weit neben der Scheibe. Genau das hat Charlie getan. Er ist ein Meisterschütze, der fleißig geübt hat, aber den Eindruck erwecken wollte, er schieße dauernd daneben. Aber wie ich schon gesagt habe, ist echte Zufälligkeit für einen Menschen nicht zu erreichen. Es gibt immer ein gewisses Schema.«
    »Wozu hat er das getan?«, fragte Helen.
    »Um ein Alibi zu haben.«
    »Indem er allen suggeriert hat, er könne überhaupt nicht schießen?«
    Reacher nickte. »Ihm ist nicht entgangen, dass der Besitzer der Anlage alle gebrauchten Ringscheiben archiviert. Er ist ein eiskalter Profi, der alle Möglichkeiten weit im Voraus ins Kalkül zieht.«
    »Wer ist er?«, fragte Franklin.
    »Er heißt in Wirklichkeit Tschenko und treibt sich mit einer Bande von Russen herum. Wahrscheinlich hat er in der Roten Armee gedient. Vermutlich als Scharfschütze. Und die waren schon immer sehr gut.«
    »Wie kommen wir an ihn heran?«
    »Durch die Opfer.«
    »Damit sind wir wieder am Ausgangspunkt. Die Opfer geben alle nichts her. Sie müssen was Besseres liefern.«
    »Sein Boss lässt sich ›der Zec‹ nennen.«
    »Was für ein Name ist denn das?«
    »Das ist ein Wort, kein Name. Ein Slangausdruck aus der Sowjetzeit. Ein Zec war der Insasse eines Arbeitslagers. Im sibirischen Archipel Gulag.«
    »Diese Lager sind längst Geschichte.«
    »Folglich ist der Zec ein sehr alter Mann. Aber ein verdammt zäher alter Mann. Wahrscheinlich zäher, als wir uns vorstellen können.«
     
    Nach seiner Arbeit mit dem Bagger war der Zec müde. Aber er war Müdigkeit gewöhnt. Er war seit dreiundsechzig Jahren müde. Er war seit dem Tag müde, an dem der Militärkommissar im Frühherbst 1942 ihr Dorf aufgesucht hatte. Das Dorf lag fünftausend Kilometer von der Front entfernt im Nirgendwo, und der Kommissar war der Typ eines Moskauer Russen, den keiner der Dörfler je zuvor gesehen hatte. Er war grob, selbstbewusst und energisch. Er duldete keinen Widerspruch. Alle Männer zwischen sechzehn und fünfzig mussten mitkommen.
    Damals war der Zec siebzehn. Ursprünglich hatte man ihn übersehen, weil er im Gefängnis saß. Er hatte mit der Frau eines älteren Mannes geschlafen und den Kerl dann zusammengeschlagen, als er sich darüber beschwerte. Sein Opfer war wegen seiner Verletzungen vom Wehrdienst zurückgestellt worden … und hatte dem Kommissar den Tipp gegeben, dass der Angreifer inhaftiert sei. Der Kommissar hatte sein Soll erfüllen wollen. Weshalb der Zec aus der Zelle geholt wurde und mit den anderen auf dem Dorfplatz antreten musste. Das tat er bereitwillig, weil er glaubte, dies sei ein Passierschein in die Freiheit. Er nahm an, ihm würden sich hundert Gelegenheiten bieten, unauffällig zu verschwinden.
    Er hatte sich getäuscht.
    Die Rekruten wurden auf geschlossene Lastwagen verfrachtet und waren dann mit dem Zug fünf Wochen unterwegs. Die förmliche Aufnahme in die Rote Armee fand bei einem Zwischenstopp statt. Uniformen wurden ausgegeben, dicke Wollsachen, ein wattierter Mantel, ein Paar Filzstiefel und ein Soldbuch. Allerdings kein Sold. Keine Waffen. Und auch keine Ausbildung außer einem kurzen Halt auf einem verschneiten Güterbahnhof, auf dem ein Politkommissar den Zug, dessen Türen abgesperrt blieben, immer wieder durch ein riesiges Blechmegaphon anplärrte. Der Kerl wiederholte eine aus nur achtzehn Wörtern bestehende kurze Ansprache, an die der Zec sich sein Leben lang erinnern würde: Die Zukunft der Welt wird in Stalingrad entschieden, wo ihr bis zur letzten Patrone fürs Vaterland kämpfen werdet.
    Die fünfwöchige Reise endete am Ostufer der Wolga, wo die Rekruten wie Vieh ausgeladen und im Laufschritt zu einer Ansammlung von alten Flussfähren und Ausflugsbooten getrieben wurden. Ungefähr einen

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