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Jack Reacher 09: Sniper

Jack Reacher 09: Sniper

Titel: Jack Reacher 09: Sniper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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Kilometer entfernt ragte jenseits des Flusses eine Höllenvision auf: eine größere Stadt, als der Zec sie je in seinem Leben gesehen hatte, lag in Trümmern, spie Rauch und Feuer. Auch der von detonierenden Werfergranaten aufgewühlte Fluss schien zu brennen. Der Himmel war voller Flugzeuge, die eins nach dem anderen zum Angriff herabstießen, Bomben warfen und die Stadt mit Bordwaffen angriffen. Überall lagen Gefallene, Leichenteile und schreiende Verwundete.
    Der Zec wurde auf ein kleines Boot gescheucht, das ein fröhlich gestreiftes Sonnensegel hatte. Es war mit Soldaten vollgepfercht. Niemand konnte sich bewegen. Niemand besaß eine Waffe. Das Boot schlingerte auf den eisigen Fluss hinaus, und die Flugzeuge stürzten sich darauf wie Fliegen auf Scheiße. Die Überfahrt dauerte eine Viertelstunde, und als sie endete, war der Zec über und über nass vom Blut seiner Kameraden.
    Sie wurden an einer schmalen Holzpier ans Ufer gejagt und mussten in langer Reihe in Richtung Stadt traben – vorbei an einem Versorgungspunkt, wo der zweite Teil seiner militärischen Ausbildung stattfand. Dort gaben zwei Unteroffiziere in endloser Folge geladene Gewehre und volle Magazine aus, wobei sie unaufhörlich etwas brüllten, das dem Zec später wie ein Gedicht, ein Lied oder eine Hymne an den absoluten Wahnsinn erschien:
    Der Mann mit dem Gewehr schießt
Der Mann ohne Gewehr folgt ihm
Fällt der Mann mit dem Gewehr
Hebt der Hintermann das Gewehr auf und schießt
    Der Zec bekam ein Magazin in die Hand gedrückt. Kein Gewehr. Er wurde vorwärts gestoßen und folgte blindlings dem Rücken seines Vordermannes. Er bog um eine Ecke. Kam an einem mit Rotarmisten besetzten MG-Nest vorbei. Anfangs glaubte er, die Front müsse sehr nahe sein. Aber dann brüllte ein Politkommissar mit einer Flagge und einem weiteren riesigen Blechmegaphon sie an: Keinen Schritt zurück! Wer einen einzigen Schritt zurückweicht, wird erschossen! Also rannte der Zec hilflos weiter, bog um die nächste Ecke und lief in den deutschen Kugelhagel. Er blieb stehen, drehte sich halb um und wurde an Armen und Beinen von drei Kugeln getroffen. Er brach zusammen, blieb zwischen Mauertrümmern liegen und wurde binnen Minuten unter einem wachsenden Leichenberg begraben.
    Achtundvierzig Stunden später kam er in einem Behelfslazarett wieder zu sich und machte erstmals Bekanntschaft mit der sowjetischen Militärjustiz: erbarmungslos, schwerfällig, ideologisch und strikt nach ihren eigenen geheimnisvollen Regeln handelnd. Über seinen Fall musste entschieden werden, weil er sich halb umgedreht hatte: Stammten seine Verwundungen von den Faschisten, oder war er auf der Flucht von eigenem Feuer getroffen worden? Weil sich das nicht klären ließ, blieb ihm die Todesstrafe erspart, und er wurde stattdessen in ein Strafbataillon versetzt. So begann ein Überlebensprozess, der seit dreiundsechzig Jahren andauerte.
    Ein Prozess, den er fortzusetzen gedachte.
    Er wählte Grigor Linskys Nummer.
    »Wir müssen davon ausgehen, dass der Soldat auspackt«, sagte er. »Was er weiß, wissen inzwischen alle. Deshalb wird’s Zeit, dass wir uns eine Versicherungspolice besorgen.«
     
    Franklin sagte: »Tatsächlich sind wir damit keinen Schritt weitergekommen, stimmt’s? Emerson glaubt uns kein verdammtes Wort, wenn wir ihm nicht mehr liefern, als wir bisher haben.«
    »Arbeiten Sie also die Opferliste ab«, sagte Reacher.
    »Das kann eine Ewigkeit dauern. Fünf Leben. Fünf Lebensgeschichten.«
    »Dann müssen wir uns konzentrieren.«
    »Wunderbar. Großartig. Sagen Sie mir nur noch, auf wen ich mich konzentrieren soll.«
    Reacher nickte. Erinnerte sich daran, was Helen Rodin gehört hatte. Der erste Schuss, dann eine winzige Pause, dann die beiden nächsten. Danach eine weitere Pause, etwas länger, aber auch nur Bruchteile von Sekunden, und dann die letzten drei. Er schloss die Augen. Stellte sich Bellantonios Audiograph mit den von der Handy-Mailbox aufgezeichneten Schüssen vor. Dachte daran, wie er im Halbdunkel des Parkhausanbaus gestanden und den rechten Arm wie ein Gewehr ausgestreckt hatte: klick, klick - klick, klick-klick-klick.
    »Nicht das erste Opfer«, sagte er. »Nicht der erste kalte Schuss. Bei dem gibt’s keine Treffergarantie. Deshalb war das erste Opfer bedeutungslos. Nur ein Teil des großen Täuschungsmanövers. Das gilt auch für die drei letzten Schüsse. Das war peng-peng-peng . Der absichtliche Fehlschuss war ein weiteres Täuschungsmanöver. Aber da

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