Jack Reacher 09: Sniper
Geschäftsbezirks befand. Er zahlte für eine Nacht bar im Voraus und trug sich als Jimmy Reese ein. Da er die Namen der US-Präsidenten und ihrer Vizepräsidenten längst durch hatte, benützte er jetzt Second Basemen der New York Yankees aus den Jahren, in denen sie nicht Meister geworden waren. Jimmy Reese hatte Ende 1930 ziemlich gut und Anfang 1931 ziemlich schlecht gespielt. Er war wie aus dem Nichts gekommen, hatte 1932 noch ein kurzes Gastspiel in St. Louis gegeben und dann den Sport aufgegeben. Gestorben war er mit dreiundneunzig Jahren in Kalifornien. Aber jetzt war er wieder da und hatte im Metropole Palace ein Einzelzimmer mit Bad – nur für eine Nacht, bis spätestens um elf Uhr am nächsten Tag zu räumen.
Das Metropole war ein trauriges, halb leeres, verblichenes altes Hotel. Aber es war einst großartig gewesen. Reacher konnte sich gut vorstellen, wie hundert Jahre zuvor die Getreidehändler zu Fuß vom Kai heraufgekommen und hier übernachtet hatten. Die Hotelhalle, die wahrscheinlich wie ein Westernsaloon ausgesehen hatte, war jetzt nichtssagend renoviert und der Aufzug modernisiert worden. Die Zimmerschlüssel hatte man durch Magnetkarten ersetzt. Aber insgesamt hatte das alte Gebäude sich nicht entscheidend verändert. Sein Zimmer wirkte jedenfalls altmodisch und düster. Die Matratze fühlte sich an, als gehörte sie zum ursprünglichen Inventar.
Er streckte sich darauf aus und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Dachte an die über vierzehn Jahre zurückliegenden Ereignisse in Kuwait City zurück. Alle Städte haben Farben, und KC war weiß. Weißer Verputz, weiß gestrichener Beton, weißer Marmor. Ein im Sonnenglast weißer Himmel. Männer in weißen Burnussen. Das Parkhaus, von dem aus James Barr geschossen hatte, war ebenso weiß gewesen wie das Apartmentgebäude gegenüber. Wegen der blendenden Helligkeit hatten alle vier Kerle grüne Pilotenbrillen getragen. Alle vier waren von Kopfschüssen getroffen worden, aber ihre Sonnenbrillen waren heil geblieben und nur heruntergefallen. Die vier Geschosse wurden gefunden und der Fall gelöst. Die Munition: rund elf Gramm schwere Stahlmantelgeschosse Sierra Matchking mit spitz zulaufendem Ende. Wegen der Genfer Konvention ohne Hohlspitze. Damit schossen alle amerikanischen Scharfschützen in der Army und beim Marinekorps. Hätte Barr ein Sturmgewehr, eine MP oder eine Pistole benutzt, hätte Reacher ihn nie geschnappt. Außer Scharfschützengewehren verschossen alle Waffen der Koalitionstruppen NATO-Standardmunition, was den Kreis der Verdächtigen ungeheuer vergrößert hätte, weil hier so viele NATO-Verbände eingesetzt waren. Aber Barr hatte es gerade darauf angelegt, die eigene Waffe wenigstens einmal zu erproben. Und dabei hatten seine vier Geschosse zu jeweils dreizehn Cent ihn ans Messer geliefert.
Aber der Fall war schwierig, sehr schwierig zu lösen und vermutlich Reachers größter Fahndungserfolg gewesen. Er hatte auf Logik, Kombinationsgabe, Aktenstudium, Befragungen, Intuition und letztlich Eliminierung gesetzt. Am Ende dieses langen Weges hatte James Barr gestanden: ein Mann, der endlich den rosa Nebel gesehen hatte und seine Verhaftung eigentümlich gelassen aufnahm.
Er hatte gestanden.
Sein rasches, freiwilliges Geständnis war vollständig gewesen. Reacher hatte ihn niemals auch nur angefasst. Barr hatte offen über sein Erlebnis gesprochen und dann Fragen zu den Ermittlungen gestellt, als fasziniere ihn dieser Vorgang. Er hatte offensichtlich nicht damit gerechnet, geschnappt zu werden. Nicht in einer Million Jahren. Er war gleichzeitig bekümmert und voller Bewunderung. Er hatte sogar gewisses Mitgefühl erkennen lassen, als er aus politischen Erwägungen heraus freigekommen war. Als bedaure er, dass Reachers ausgezeichnete Ermittlungsarbeit ergebnislos bleiben würde.
Vierzehn Jahre später hatte er nicht gestanden.
Zwischen damals und jetzt gab es noch einen weiteren Unterschied. Aber Reacher konnte ihn nicht genau definieren. Er hatte irgendwas damit zu tun, wie heiß es in Kuwait City gewesen war.
Grigor Linsky benützte sein Handy, um den Zec anzurufen. Der Zec war der Mann, für den er arbeitete. Nicht einfach Zec, sondern der Zec. Das war eine Frage des Respekts. Der Zec war schon achtzig, aber er brach Leuten noch immer die Arme, wenn er Respektlosigkeit witterte. Er glich einem alten Elefantenbullen. Er besaß weiter seine Kraft und seine Pose. Er war wegen seiner Kraft und seiner Pose achtzig Jahre
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