Jack Ryan 02 - Die Stunde der Patrioten
Murphy», sagte der Beamte der Spionageabwehr. «Das Foto in unseren Akten wird Ihnen nicht gerecht.»
«Damals war ich jung und dumm. Und sehr eitel. Ich habe mich fast nie rasiert», erläuterte Murphy. Er nahm die Speisekarte, die vor ihm lag. «Der Braten ist hier ausgezeichnet, und das Gemüse ist immer frisch. Im Sommer ist der Laden voll von Touristen, und sie treiben die Preise hoch. Aber jetzt sind sie Gott sei Dank wieder zu Haus in Amerika. Nachdem sie eine Menge Geld in unserem armen Land gelassen haben.»
«Was für Informationen haben Sie für uns?»
«Informationen?»
«Sie haben um das Treffen gebeten, Mr. Murphy», betonte Ashley.
«Wir wollen Ihnen versichern, daß wir nichts mit dem blutigen Fiasko von gestern zu tun hatten.»
«Das hätte ich in den Zeitungen lesen können - ich habe es übrigens getan.»
«Wir meinten, daß eine persönliche Mitteilung angebracht sei, Mr. Ashley.»
«Warum sollten wir Ihnen glauben?» fragte Ashley und trank wieder einen Schluck. Obgleich jeder wußte, was der andere von ihm hielt, sprachen sie leise und gleichmütig.
«Weil wir nicht so verrückt sind, uns für so etwas herzugeben», antwortete Murphy. Der Kellner kam, und sie bestellten. Ashley wählte den Wein aus, einen vielversprechenden Bordeaux. Das Essen ging auf sein Spesenkonto. Er war erst vor vierzig Minuten aus der Maschine von Gatwick gestiegen. Die Bitte um ein Treffen war vor Morgengrauen in einem Anruf beim britischen Botschafter in Dublin geäußert worden.
«Stimmt das wirklich?» fragte Ashley, als der Kellner sich entfernt hatte, und fixierte die kalten blauen Augen auf der anderen Seite des Tisches.
«Die königliche Familie ist für uns streng tabu. Sie wären vielleicht alle ein erstklassiges politisches Ziel» - Murphy lächelte dünn «aber wir wissen seit einiger Zeit, daß ein Angriff auf sie kontraproduktiv wäre.»
«Tatsächlich?» Ashley sprach das Wort so aus, wie nur ein Engländer es kann. Murphy verfärbte sich bei dieser vornehmsten aller Beleidigungen.
«Mr. Ashley, wir sind Feinde. Ich würde Sie lieber töten, als hier mit Ihnen etwas essen. Aber selbst Feinde können miteinander verhandeln, nicht wahr?»
«Fahren Sie fort.»
«Wir hatten nichts damit zu tun. Sie haben mein Wort.»
«Ihr Wort als Marxist-Leninist?» fragte Ashley lächelnd.
«Sie können sehr gut provozieren, Mr. Ashley.» Murphy lächelte ebenfalls. «Aber bitte nicht heute. Ich bin in einer Friedens- und Verständigungsmission hier.»
Ashley hätte um ein Haar laut gelacht, beherrschte sich aber und grinste nur in sein Glas.
«Mr. Murphy, ich würde keine Träne vergießen, wenn unsere Jungs Sie erwischen sollten, aber ich kann sagen, Sie sind ein würdiger Gegner. Und ein charmanter Bastard.»
Oh, der britische Sinn für Humor, überlegte Murphy im stillen. Das ist der Grund, weshalb wir letzten Endes siegen werden, Mr. Ashley.
Nein, das werdet ihr nicht. Ashley kannte den Blick.
«Was kann ich tun, damit Sie mir glauben?» fragte Murphy sachlich.
«Namen und Adressen», erwiderte Ashley gelassen.
«Nein. Das können wir nicht, und Sie wissen es.»
«Wenn Sie irgendeine Gegenleistung wollen, wird Ihnen nichts anderes übrigbleiben.»
Murphy seufzte. «Sie wissen sicher, wie wir organisiert sind. Glauben Sie, wir brauchen nur einen Code in einen Computer einzugeben, und er spuckt unsere Mitgliederliste aus? Wir wissen selbst nicht mal genau, wer sie sind. Manche Leute ziehen sich einfach zurück. Viele kommen in den Süden und verschwinden dann von der Bildfläche, weil sie vor uns mehr Angst haben als vor Ihnen - und das mit Recht», fügte Murphy hinzu. «Der, den Sie lebend erwischt haben, dieser Sean Miller - wir haben vor dem Anschlag nicht mal den Namen gekannt.»
«Und Kevin O'Donnell?»
«Ja, er ist wahrscheinlich der Anführer. Wie Sie wissen, tauchte er vor vier Jahren unter, nachdem ... Aber Sie kennen die Geschichte ebensogut wie ich.»
Kevin Joseph O'Donnell, rief Ashley sich ins Gedächtnis. Jetzt vierunddreißig Jahre alt. Gut einsachtzig groß, fünfundsiebzig Kilo schwer, ledig - diese Daten waren alt und deshalb suspekt. Inhaber des IRA-Rekords in «Eigentoren». Kevin war der unerbittlichste Sicherheitschef gewesen, den die Terroristen je gehabt hatten, und sie hatten ihn gehaßt, weil er seine Macht benutzt hatte, um die Organisation von politischen Elementen zu säubern, die ihm nicht genehm waren. Wie groß war die Zahl gewesen - zehn oder fünfzehn
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