Jack Ryan 02 - Die Stunde der Patrioten
Gips nicht nur kaschiert wurde, sondern bekleidet wirkte. Seine Frau öffnete die Verschlüsse flink und zog ihm das Jackett aus. Als nächstes kam das Oberhemd dran.
«Ich kann das auch selbst, weißt du.»
«Sei still, Jack. Ich habe keine Lust, die ganze Nacht zu warten, bis du dich ausgezogen hast.» Dann hörte er, wie ein langer Reißverschluß aufgezogen wurde.
«Kann ich dir helfen?»
Sie lachte. «Vielen Dank, aber ich möchte das Kleid noch mal tragen. Und paß bitte auf, wo du diesen Arm hintust.»
«Ich habe bis jetzt noch niemanden zermalmt.»
«Sehr gut. Sorg dafür, daß es so bleibt.» Seide raschelte. Sie nahm seine Hand ... «Wie wäre es, wenn du dich jetzt hinsetztest?»
Als er sich auf der Bettkante niedergelassen hatte, kam alles andere ganz von selbst. Er fühlte ihre kühle, glatte Haut an seinem Körper, und ein Hauch von Parfüm hing in der Luft. Er langte um ihre Schulter, zu der weichen Haut ihres Bauches.
Es lebt und wächst, während wir hier sitzen. «Du bekommst ein Baby von mir», sagte er leise. Es gibt wirklich einen Gott, und Wunder geschehen tatsächlich!
Sie streichelte sein Gesicht. «Ja. Ich werde ab morgen vorsichtig sein müssen - den heutigen Abend wollte ich voll genießen.»
«Weißt du, ich liebe dich wirklich.»
«Ich weiß», sagte sie. «Leg dich hin.»
6
Die Aussagen des letzten Sachverständigen und des ersten Augenzeugen dauerten ungefähr zwei Stunden, und während dieser Zeit saß Ryan auf einer Marmorbank vor dem zweiten Verhandlungssaal von Old Bailey. Er versuchte mit seinem Minicomputer zu arbeiten, konnte sich aber nicht konzentrieren und ertappte sich immer wieder dabei, wie er das hundertsechzig Jahre alte Gebäude betrachtete.
Die Sicherheitsmaßnahmen waren unglaublich. Draußen standen zahlreiche uniformierte Polizisten, an deren Handgelenken kleine Pistolenetuis mit Reißverschluß baumelten. Andere, in Uniform oder Zivil, standen auf den Dächern auf der anderen Seite der Newgate Street wie Falken, die darauf warteten, daß sich ein Kaninchen aus dem Loch wagte. Nur daß Kaninchen keine Maschinenpistolen und RPG-7-Bazookas tragen, dachte Ryan. Jeder, der das Gebäude betrat, wurde mit einem Metalldetektor untersucht, der schon bei der Folie in einer Zigarettenschachtel Ping machte, und jeder wurde auch abgetastet. Die prachtvolle Halle war für jedermann gesperrt, der nicht unmittelbar mit dem Fall zu tun hatte, und weniger brisante Verfahren waren so auf die neunzehn Gerichtssäle verteilt worden, daß Krone gegen Miller ungestört ablaufen konnte.
Der Fall war in vieler Hinsicht eine Ausnahme. Der Anschlag hatte vor kaum vier Wochen stattgefunden, und der Prozeß war bereits in Gang - selbst nach britischen Maßstäben ungewöhnlich schnell. Der Zutritt zur Besuchergalerie (Besucher erreichten sie von einem anderen Teil des Gebäudes) wurde streng kontrolliert, aber gleichzeitig tat man alles, um den Anschein eines gewöhnlichen Strafprozesses zu wahren. Die Bezeichnung «Ulster Liberation Army» wurde nicht gebraucht. Der Staatsanwalt nahm kein einziges Mal die Worte «Terrorist» oder «terroristische Vereinigung» in den Mund. Die Polizei ignorierte - zumindest in der Öffentlichkeit - die politischen Aspekte des Falls. Zwei Männer waren tot, und dies war ein Verfahren wegen heimtückischen Mordes - Punktum. Selbst die Presse spielte mit.
Die Wahrheit sah natürlich anders aus, und jedermann wußte das. Ryan verstand jedoch genug von der Jurisprudenz, um sich im klaren zu sein, daß ihre Vertreter sich nur selten mit der Wahrheit abgaben. Die Prozeduren waren weit wichtiger. Deshalb würde man hier nicht über das Ziel der Verbrecher spekulieren und die königliche Familie nicht hineinziehen - der Prinz und die Prinzessin von Wales hatten lediglich zu Protokoll gegeben, daß sie den entkommenen Attentäter nicht identifizieren könnten, und ihr Erscheinen vor Gericht erübrigte sich. Auch Cathy brauchte nicht zu erscheinen. Außer den forensischen Experten, die gestern und heute morgen ausgesagt hatten, hatte die Krone acht Augenzeugen. Ryan war Nummer zwei. Das Verfahren war auf maximal vier Tage angesetzt. Wie Owens ihm im Krankenhaus gesagt hatte, würde man mit diesem Burschen nicht lange fackeln.
«Herr Doktor Ryan? Wenn Sie mir bitte folgen würden, Sir?» Die VIP-Behandlung ging hier weiter. Ein Gerichtsdiener mit kurzärmeligem Hemd und Krawatte trat zu ihm und führte ihn durch eine Seitentür in den Gerichtssaal.
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