Jackpot - wer traeumt, verliert
ersten Mal jemandem erzählt. Kurz kam ihr in den Sinn, dass sie ihn das vielleicht nicht hätte fragen sollen. Aber dann setzte sie sich ihm gegenüber und wartete.
»Er ist auf Entzug«, sagte Phil. »Unsere Mutter ist gestorben. Hat er nicht verkraftet.« Er räusperte sich. »Eines Tages ist er morgens einfach nicht mehr aufgestanden. Ein paar Tage später war er sturzbetrunken. Dann ist er weg und nicht mehr nach Hause gekommen. Er hat seinen Job verloren. Wir mussten aus unserer Wohnung raus. Und sind hier gelandet.«
Dieser große Junge – breit wie ein Baum, das Gesicht wie gemeißelt, mit einem Kiefer zum Nüsseknacken. Und jetzt musste er darum kämpfen, nicht die Fassung zu verlieren. »Was ist mit eurer Mutter passiert?«, fragte Sabrina.
Phil atmete tief durch und hatte sich wieder im Griff. »Autounfall. Wir wollten zum Skifahren. Vereiste Straße, blöde Kurve, Gegenverkehr. Chris war erkältet. Unser Vater ist mit ihm daheimgeblieben. Das wollte Mama eigentlich auch. Aber er hat sie überredet, zu fahren. Wär doch ein Jammer, hat er gesagt, habt wenigstens ihr euren Spaß!«
»Ihr?«, sagte Sabrina. »Du warst dabei?«
Phil nickte. »Auf dem Beifahrersitz. Unser Vater denkt, er hat sie in den Tod geschickt.«
Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. »Und du?«
»Er hat’s nur gut mit uns gemeint.« Phil stand auf. »Was ist deine Story?« Er lachte trocken, ging zum Fenster und drehte den Heizkörper darunter auf. »Abgesehen davon, dass der Freund deiner Mutter scharf auf dich ist und deswegen einen Geldtransport überfallen hat.«
Sabrina lächelte, fühlte sich aber immer noch mitgenommen. »Abgesehen davon ist meine Story relativ unspektakulär. Meine Eltern haben sich scheiden lassen und mein Vater ist zurück nach Kroatien. Er möchte sich auf einer der Inseln vor der Küste was aufbauen. Ein Strandcafé oder eine kleine Pension.«
Phil stand jetzt etwas unschlüssig vor ihr. »Klingt gut.«
»Ja. Ich hab mir gedacht, ich mach vielleicht eine Hotelfachlehre. Aber mit mittlerer Reife schaff ich’s wahrscheinlich nur in irgend so eine kleine Klitsche.«
Phil grinste. »Du siehst dich wohl eher in so einem Fünf-Sterne-Teil.«
Sabrina musste gegen die Deckenlampe anblinzeln, als sie Phil anschaute. »Eigentlich sogar lieber sieben Sterne in Dubai, aber Bayerischer Hof wär auch okay. Leistest du mir noch ein bisschen Gesellschaft?«
Phil schaute sie lange an. Dann setzte er sich zu ihr. »Da war ich mal«, sagte er. »Im Bayerischen Hof. Familien-Frühstück, hat sich meine Mutter zum Geburtstag gewünscht.«
Sabrina rutschte neben ihn. »Und?«
»Na ja. Sehr teuer. Aber auch sehr lecker.«
Eine Weile schwiegen sie. Sabrina fühlte eine angenehme Schwere. Sie sagte: »Es tut mir leid, das mit eurer Mutter. Und eurem Vater.«
Phil nickte. »Wir haben uns alle ganz fein gemacht. Danach sind wir zum Schlittschuhlaufen am Nymphenburger Kanal. Unsere Mutter mit Kleid, in ihrem besten Mantel, wir Jungs in Anzug und Krawatte. Es gibt ein Foto von uns, das hat mein Vater in diesem Sepia-Ton entwickelt – da sehen wir aus wie vor hundert Jahren.«
Sabrina merkte, wie ihr die Augen zufielen. Es war angenehm. Sie sagte: »Klingt nach einer schönen Erinnerung.«
»Ja. An solchen Tagen denkt man nie, dass die irgendwann mal vorbei sein könnten.«
Sie machte noch mal die Augen auf, weil sie spürte, dass Phil sie anschaute. Er sagte: »Hast du eigentlich Hunger oder magst du was trinken?«
Sabrina schüttelte den Kopf. »Ich mag jetzt einfach nur so mit dir hiersitzen. Wenn das okay für dich ist.« Als Phil nickte, rutschte sie zu ihm und lehnte sich an seine Schulter. Irgendwann schloss sie die Augen. Bevor sie einschlief, merkte sie noch, wie Phil sie mit der Wolldecke zudeckte.
David kam die U-Bahn-Rolltreppe hoch und blieb vor dem Kindergarten stehen, der auf dem Weg zum Mira lag. Die jetzt dunklen Fenster waren mit gebastelter Weihnachtsdeko beklebt: Sterne und Schneeflocken aus Krepp und Glitzerpapier, krakelige Weihnachtsmänner aus Wasserfarben, die einen aufgeklebten Stoffsack mit sich trugen.
Eine Bande Kids strömte von der Neubausiedlung an David vorbei Richtung Einkaufszentrum: Endlich Ferien! Und noch besser – in ein paar Stunden gab es Geschenke, Jackpot! David grinste, er konnte sich noch gut an diese Vorfreude erinnern. Der 24.12. war auch für ihn bis vor ein paar Jahren noch der Tag im Jahr gewesen.
Überhaupt fühlte David sich großartig. Vor nicht einmal
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