Jackpot - wer traeumt, verliert
sich wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte.
»Sabrina sagt mir, du weißt, wo mein Geld ist.« Matthias berührte Chris mit dem Pistolenlauf an der Wange, sodass Chris ihn anschauen musste.
»Ja«, sagte Chris erstaunlich ruhig.
»Sobald ich mein Geld habe, kannst du für deinen Bruder einen Krankenwagen rufen. Ich bin zwar kein Arzt, aber ich denke, je früher das passiert, desto besser.«
Chris nickte. »Es ist etwa zehn Minuten von hier. Wenn wir mit dem Auto fahren.«
Matthias musterte Chris. »Dann nichts wie los!«
4:06 UHR
Phil hatte einen metallischen Geschmack auf der Zunge. Vielleicht wegen der Kieselsteine? Er öffnete die Augen – und es war, als würde ihm jemand einen Medizinball innen gegen die Schädeldecke drücken.
Das Licht! Die nackte Glühbirne an der Decke – sie hatten nie eine richtige Lampe gekauft für den Flur. Diese Wohnung war immer nur eine Übergangslösung gewesen.
Phil schloss die Augen wieder und atmete langsam durch die Nase ein, während er versuchte, seine Zähne von den Kieseln zu befreien. Doch seine Zunge ließ sich kaum bewegen. Sie fühlte sich an, als würde sie zusammen mit den Steinen seinen ganzen Mund ausfüllen.
Wieso, verdammt noch mal, hatte er auf einmal Kieselsteine im Mund?
Mühsam richtete Phil sich auf, bis er auf allen vieren kniete. Bei jeder Bewegung spürte er den Medizinball in seinem Kopf. Als er den Mund langsam öffnete, knackte es unter seinem linken Ohr und ein blitzartiger Schmerz schoss ihm in den Unterkiefer. Ihm wurde schwindlig. Er war sich sicher, dass er sich gleich übergeben müsste. Nur dass es ihm dann das Gesicht zerreißen würde.
Phil atmete tief ein. Ganz langsam. Mist. Er konnte den Mund nicht mehr schließen. Er tastete nach dem Lichtschalter. Er fand ihn und die Dunkelheit ließ wenigstens das flaue Gefühl in seinem Magen schwächer werden.
Vorsichtig spuckte Phil die Kieselsteine aus und sah, dass es seine Zähne waren – mindestens neun: ganze Zähne und Splitter in allen Größen. Scheiße. Phil befasste sein Gesicht. Alles war taub. Er spürte nur etwas an seinen Fingern, etwas Feuchtwarmes, das an seinem Kinn klebte. Er versuchte, es abzuwischen, aber es ging nicht. Am liebsten hätte Phil sich wieder hingelegt. Doch er musste nach seinem Bruder schauen. Er zog sich an der Kommode hoch in die Hocke. Wieder überkam ihn diese furchtbare Übelkeit und wieder konnte er sie gerade noch unterdrücken.
Dann sah er sich im schwachen Licht, das aus dem Bad kam, in dem 70er-Jahre-Ankleidespiegel ihres Vormieters – den man erst vier Wochen nach seinem Tod in dieser Wohnung gefunden hatte. Der Spiegel hatte Phil auch schon immer gestört, wie die Glühbirne. Aber jetzt passte das Ding wenigstens zu seinem Gesicht. Es hatte etwas Zombiehaftes. Die untere Gesichtshälfte war schief und so stark geschwollen, dass es schon fast lächerlich aussah. Das klebrige Etwas an seinem Kinn, das dort herunterhing, war ein etwa zwei mal zwei Zentimeter großer Hautfetzen. Darunter blitzte zwischen all dem Rot der Kieferknochen weiß hervor.
Phil kam nur ein undeutliches Gemurmel über die Lippen, als er versuchte, nach seinem Bruder zu rufen. Er tastete sich an der Wand entlang in das Zimmer, wo früher ihr Vater geschlafen hatte, dann zur Küche. Schließlich zum Zimmer, das er mit Chris teilte. Leer, leer, leer. Auch das Bad war leer.
Phil fand eine Pflasterrolle im Spiegelschrank über dem Waschbecken. Er schnitt mit einer Nagelschere zwei lange Streifen ab, mit denen er den herabhängenden Hautfetzen wieder notdürftig an sein Kinn klebte. Dann drückte er die restlichen acht Tabletten aus einer angebrochenen Schachtel Paracetamol in den Zahnputzbecher und goss Wasser darüber. Er rührte mit einer Zahnbürste um und schlürfte die bittere Flüssigkeit vorsichtig in sich hinein; richtig trinken konnte er nicht.
Er hatte schon eine Vorahnung gehabt – oder eher die Ahnung einer Vorahnung, als er Sabrinas Blick durch den Türspion gesehen hatte. Chris hatte recht gehabt: Er war zu verknallt gewesen. In dem Moment hätte er einen klaren Kopf gebraucht. So war er einfach nur froh gewesen, dass Sabrina wieder zurück war.
Ihr besorgter Blick hätte ihn warnen müssen. Danach hatte er nur kurz eine Figur vor sich gesehen, wie einen farbigen Schatten, bevor alles schwarz geworden war in ihm. Aber er brauchte kein Fahndungsfoto, um zu wissen, wer ihn k. o. geschlagen hatte: Kriebl, dem es irgendwie gelungen war, zu fliehen.
Hatte
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