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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Mannes, der in seinem Leben nichts anderes getan hatte, als den Toten zu einem zweiten Tod zu verhelfen, Schnaps zu trinken und sich vor der heiligen Mutter Gottes, dem himmlischen Vater und so ziemlich jedem der Heiligen zu bekreuzigen.
    Ich ging in mein Zimmer, zog mich ebenfalls aus und legte mich hin. Der Pope löschte die Lampe. «Wieso tut das denn Gigi?», fragte ich im Dunkeln.
    «Gigi? Er ist Zigeuner, aus der Gegend um Triebswetter. Früher ist er ein großer Bulibaşa gewesen, aber seine Frau hat ihn entehrt. Mehr hat er nie erzählen wollen. Wenn man ihn dazu drängen will, riskiert man Kopf und Kragen. Er sagt, dass er mir hilft, um zu büßen. Wofür, das weiß auch ich nicht.»
    Ich war so verblüfft, Raminas Mann gefunden zu haben, der meine ganze Kindheit lang in Geschichten herumgegeistert war und den sie bei jeder Gelegenheit verflucht hatte, dass ich die nächste Frage des Popen überhörte. Bis er dann barfuß im Türrahmen stand.
    «Was ist los mir dir? Ist dir schlecht?», fragte er.
    «Nein.»
    «Wie lautet deine Antwort?»
    «Worauf?»
    «Ob du mein Gehilfe werden willst? Als ich dich mehr tot als lebendig ins Haus gebracht habe, habe ich gewusst, dass Gott dich geschickt hat, um mich zu entlasten. Ich glaube, dass er dich deshalb nicht sterben ließ.»
    «Und wenn ich Nein sage?»
    Er wirkte verwirrt, als ob er mit einer solchen Reaktion gar nicht gerechnet hätte. Er grübelte lange nach, bis er sich zu einer Antwort aufraffte: «Dann musst du gehen.Ich halte hier keine Schmarotzer, und andere Arbeit gibt es nicht für dich.»
    So wurde ich für die nächsten Jahre Knochenträger, der Gehilfe des Popa Pamfilie in der Kunst, der Erde die Überreste von Menschen zu entreißen, die dort ebenso gut vor hundert wie vor tausend Jahren gestorben sein konnten. Sie zu reinigen und für die Fahrt über den Fluss bereitzumachen. Ein fleißiger Gehilfe noch dazu.
    * * *
    Bis in den Juni hinein war es nicht möglich, den Fluss zu überqueren. Wenn drüben einer starb, wurde er in einen Sarg gelegt und zu uns auf die Reise geschickt. Mit Seilen zogen wir den offenen Sarg zu uns hinüber, keine leichte Arbeit, wenn man die ganze entfesselte Kraft des Flusses gegen sich hat. Manchmal zog uns der Tote flussabwärts, wir stolperten über Steine und Büsche und schafften es nur mit Mühe, ihn ins Trockene zu bringen.
    Popa Pamfilie hielt gleich am Ufer die Totenfeier, legte in den Sarg ein Bild der heiligen Mutter Gottes und auf die Stirn des Toten einen Papierstreifen mit der Aufschrift:
Heiliger Vater, erbarme dich
. Er bedeckte den Toten mit einem Tuch, las die Psalmen und schwenkte an allen vier Seiten des Sarges Weihrauch, danach schickten wir ihn zurück zu den Seinen, die ihn dann zum Friedhof trugen.
    Ältere Leute oder Kranke, die spürten, dass das Leben langsam aus ihnen wich, wurden auch hinübergeschickt, auf einem Floß. Darauf wurde ein Stuhl befestigt und die Alten daran festgebunden. Die Kranken hingegen lagen auf einer Trage. Einmal entwischte uns einer der Alten, weil mir das feuchte Seil durch die Hände geglitten war. Auf beiden Seiten des Flusses liefen wir hinter ihm her,und es fehlte wenig, dass er als Toter bei uns angekommen wäre.
    Auch ein Brautpaar kam hinüber, denn der Bräutigam zog es vor, sich in Lebensgefahr zu begeben, als weiterhin auf seine Hochzeitsnacht zu warten. Beide Eheleute wurden umarmt und verabschiedet, als ob sie zu einer langen Reise aufbrächen, dann zogen sie ihre Schuhe aus, bekreuzigten sich und stiegen aufs Floß. Dieses Bild der Braut, die aufrecht dasteht, sosehr sich der Strom auch bemüht, sie aus dem Gleichgewicht zu bringen, geistert noch heute durch meinen Kopf. Widerspenstig und zu allem entschlossen, ließ sie sich an dem schönsten Tag ihres Lebens von niemandem aufhalten, nicht einmal von einer Naturgewalt.
    Auch ein Säugling wurde von seiner Mutter über den Fluss getragen, die befürchtete, dass er ungetauft sterben könnte und sich dann die Teufel seine Seele holen würden. Aber abgesehen von solch dringlichen Fällen war unser Geschäft das der Knochen. Sie waren tatsächlich überall, wir brauchten nur ein wenig vom Weg abzukommen oder im Gebüsch und unter Steinen nachzuschauen, schon fanden wir welche. Der Pope hatte die wilde, zufällige Suche schon vor vielen Jahren aufgegeben. Er ging sehr vorsichtig vor, nahm sich immer ein quadratisches Stück Erde vor und durchsuchte es gründlich, bevor er zum nächsten wechselte.
    So lernte auch

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