Jacob beschließt zu lieben - Roman
ich, langsam und planvoll zu arbeiten, denn meist lagen die Knochen, die zum selben Menschen gehörten, nicht weit voneinander entfernt. Das oberste Gebot war, ganze oder fast ganze Skelette zu begraben und nicht bloß einzelne Teile. Nach dem Regen waren wir am erfolgreichsten, denn er spülte immer einen Teil desHanges weg. Ich wurde sogar genauso eifrig wie der Pope und konnte es jeden Morgen kaum erwarten, dass wir aufbrachen. Auch wuchs in mir eine gewisse Zärtlichkeit für jene armseligen menschlichen Überreste, die ich auf meinem Rücken trug. Ich betrachtete sie vorsichtig und fasste sie sanft an, als ob ich ihnen keinen Grund zur Klage geben wollte.
Am Anfang war es mir nicht möglich, einen vollen Sack den steilen Hang hinunterzutragen und ebenso wenig, allzu lange gebückt in der Erde zu graben. Dann schickte mich der Pope wieder nach Hause, zum Knochenwaschen. Ich wurde sehr geschickt darin, und es gelang mir täglich, so viele davon mit Bürste, Seife und Wasser zu reinigen, dass am Ende des Tages Gigi die Arme hochriss, wenn er die Anzahl notwendiger Särge erfuhr. Inzwischen stapelten sich bei ihm die Särge wie bei uns die Toten, doch wir rechneten damit, dass wir sie in Kürze zusammenbringen konnten. Der Fluss gab erste Anzeichen der Erlahmung.
Mit der Zeit wurde ich kräftiger und widerstandsfähiger, ich trug meine Säcke am Stück nach Hause, auch wenn ich mich dafür noch vollkommen verausgabte. Meistens schlief ich schon vor dem Abendbrot ein, aber Popa Pamfilie weckte mich auf, denn er hatte sich vorgenommen, mich wie eine von Mutters Gänsen zu stopfen. Ich nahm dank seiner Speisen kräftig zu, wurde stärker und breiter.
Dann kam der Tag, als Gigi frühmorgens an unsere Tür klopfte. «Vater, der Fluss hat nachgelassen. Jetzt können wir die Toten begraben!», rief er. Ich machte auf und starrte ihn an, denn es war das erste Mal, dass er mir so nah gegenüber stand. Wenn er einmal ein beeindruckenderund einschüchternder Bulibaşa gewesen war, so war jetzt nicht mehr viel davon übrig geblieben. Ein faltenreicher, magerer Mann ohne Zähne im Mund. Ich zweifelte sogar daran, dass er wirklich derjenige war, den Vater bei seiner Ankunft in Triebswetter aufgesucht hatte.
Wir begannen zu dritt mit dem Transport, der mehrere Wochen dauerte. Wir konnten jeweils nur eine oder zwei Schachteln hinübertragen, denn mit der einen Hand mussten wir uns am Seil festhalten, das als Geländer diente. In jeder Schachtel befand sich ein ganzes Skelett oder fast ein ganzes. Im Juli trocknete das Flussbett so sehr aus, dass wir die Toten viel einfacher transportieren konnten, und allmählich leerte sich unser Keller. Die neuen Knochen blieben nur wenige Tage bei uns, die Zeit, die wir brauchten, um sie zurechtzumachen.
Da ich katholisch war, durfte ich an der Beisetzung nur von fern teilnehmen. Als Zaungast sozusagen. Nur einige alte Frauen, die die Ikonen und brennenden Kerzen hielten, und der Totengräber scharten sich um den Popen, als dieser die Schachteln öffnete, die Knochen in die Särge legte, die Totenfeier hielt und Gigi anschließend den Deckel festnagelte.
Weil der Bedarf so groß gewesen war, hatte der Pope durchgesetzt, dass neben dem bisherigen Friedhof genug Platz für einen zweiten zur Verfügung gestellt wurde. Für jene Namenlosen von unserem Berg. Die alten Frauen hatten auch diese Toten unter sich aufgeteilt. Wenn sie die eigenen Verstorbenen besuchten, schauten sie auch bei ihren adoptierten Toten vorbei, und es war keineswegs so, dass dieser andere Friedhof vernachlässigt wäre, wie wenn man ihn nur tolerierte und ihm eine erzwungene Gastfreundschaft gewährte. In mancher Hinsichtblühte er mehr und war ordentlicher und sauberer als der erste.
Auf einem meiner Streifzüge durchs Dorf, während ich darauf wartete, dass Popa Pamfilie nach mir rief und wir zu unserer gewohnten Tätigkeit zurückkehrten, stellte sich mir eines Tages der Gendarm in den Weg. Er war ein schwitzender, selbstzufrieden grinsender Mann, der nicht unklug war. Er wusste, dass nicht seine Statur, sondern seine Uniform, die er minutiös putzte und selbst bei größter Hitze bis oben zuknöpfte, ihm Macht über die Menschen verlieh, noch bevor er einen Finger rührte. Tatsächlich war jeder damit beschäftigt, sobald er irgendwo auftauchte, sich zu fragen, ob er nicht doch etwas verbrochen hatte. Etwas winzig Kleines, das ihn aber bald wie eine Eisenkugel am Fußgelenk in die Tiefe ziehen konnte. Das hatte mir
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