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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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traut.»
    «Gibst du uns freiwillig das Gold?», fragte der Rosshändler.
    «Nur über meine Leiche!», rief Vater und entsicherte sein Gewehr.
    «Na, dann los!», rief der Rosshändler. Vater schoss in die Luft und brachte die Menge zum Stehen, jedoch nicht für lange.
    Zwei kräftige Männer warfen sich auf ihn, zwei weitere auf Sarelo und hielten sie fest, während die anderen in den Hof eindrangen und Großvater ihnen den genauen Ort zeigte. Dann machten sie sich an die Arbeit, holten Pickel und Schaufel aus dem Geräteschuppen und gruben Raminas Seifen wieder aus. Es dauerte mehrere Stunden, bis sie alles aufgeladen und weggebracht hatten. So lange aber mussten sie Vater immer wieder bändigen, der sie verfluchte und auf Großvater losgehen wollte. Er rief: «Das wirst du noch schwer bereuen!»
    «Wo war Mutter? Was hat sie getan?», fragte ich Sarelo.
    «Was sie immer tut. Sie betete im Haus», antwortete er.
    Mutter kam erst heraus, als alle anderen weg waren. Anstatt sich auf Großvater zu stürzen, griff ihr Mann nach dem Gewehr und verschwand im Stall, wo nun ein tiefes, verwaistes Loch im Boden klaffte. Er holte eines der Pferde heraus und führte es bis in die Mitte des Hofes, gut sichtbar für alle. Noch bevor Großvater oder Mutter reagieren konnten, setzte er dem Tier den Gewehrlauf an die Schläfe und rief: «Du hast mir das Gold genommen, ich nehme dir die Pferde!»
    Mutter versuchte ihn zu besänftigen, klammerte sich an ihm fest, aber er schüttelte sie ab. Die Pferde würde man noch für die Feldarbeit brauchen, sie seien zu wertvoll, meinte sie, doch Vater drückte ab, dann holte er das nächste Tier heraus. Fünfmal schoss er, bis der Hof eine einzige Blutlache war. Auf die noch warmen Körper von Großvaters geliebten Tieren setzten sich Hunderte von Mücken. An jenem Tag begann Großvater zu sterben.
    * * *
    In nur fünf Jahren war Vater verschrumpelt wie ein Stück Obst. Der feine Anzug, den er jetzt offenbar zum Arbeiten brauchte, kleidete ihn schlecht. Die dünn gewordenen Arme und Beine sahen darin wie die hölzernen Glieder einer Marionette aus, die man in weite Kleider gesteckt hatte, um das Publikum zu belustigen.
    Von seiner einst imposanten Gestalt waren nur noch die großen Hände geblieben, die er, als wir uns gegenüberstanden und er mich erkannte, unsicher in den Hosentaschen versteckte, ohne sich beruhigen zu können. Seine markante Nase störte nur noch wie eine hässliche Wunde. Sein einst dichtes und dickes Haar klebte schütter an seiner Kopfhaut.
    Ich brauchte Minuten, um hinter jener Erscheinung den Mann zu erkennen, den ich in meiner Kindheit so sehr gefürchtet, aber auch bewundert hatte. Auch auf Mutter lastete die Zeit, sie tat es sogar so sehr, dass Mutter ganz bucklig geworden war. Eine Frau mit einem kummervollen Gesicht und erloschenen Augen mit einem schwarzen Kopftuch. Im selben Maße, wie ich gewachsen war und meinen anämischen Körper, meine Konstitution gestärkt hatte, waren die beiden eingegangen wie zwei Kleidungsstücke, die man in viel zu heißes Wasser gesteckt hatte.
    Vater blieb stehen, Mutter machte einen Schritt nach vorn, als wollte sie mit einem Sprung bei mir sein, doch Vater flüsterte: «Elsa, beherrschen Sie sich.» Sie wurde wieder ängstlich und senkte den Kopf. Aus sicherer Entfernung sahen wir uns an. Über ihren Augen hing ein milchiger Schleier. Ich zog den Pullover aus und streckte ihn ihr entgegen. «Hat er dir genützt?», fragte sie und nahm ihn an sich.
    «Sehr.»
    «Du hast überlebt», murmelte sie unentwegt. Ich hatte keinen Grund, ihr etwas anderes zu erzählen, als dass ich ein Überlebender war.
    Wie hätte es sich denn angehört, wenn ich ihnen gesagt hätte, dass ich jahrelang kaum achtzig Kilometer entfernt wie ein Maulwurf nach Knochen gewühlt hatte, während sie mich bei den anderen glaubten, ausgehungert und erschöpft, ständig von Krankheiten und dem Erfrierungstod bedroht? Ihre ganze Sorge, ihre Schuld, wenn sie je welche gespürt hatten, wären ihnen auf einmal lächerlich erschienen, wie etwas, das sie sinnlos gequält und mir unverdient zuteilgeworden wäre.
    Nein, wollte ich ein Recht auf die Rückkehr haben, auf die Achtung, die mir nun endlich zustand, musste ich ein Überlebender werden. Einer, der die Hölle gesehen und sie wieder verlassen hatte. Ihre Wut, wenn ich sie darin enttäuscht hätte, hätte mich erneut vernichtet. Schnell entschied ich mich und antwortete:
    «Ja, ich habe überlebt.»
    «Dabei bist

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