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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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das Tor und fuhr auf die Gasse. Auf dem Weg durch das Dorf wurden Jakob und die Kutsche immer kleiner, sodass sie zwischen den Daumen und den Zeigefinger von Niclaus passten, der ans Tor geeilt war. Er presste die Finger aneinander, als ob er Jakobs Gestalt zerquetschen wollte. Er spuckte auf den Boden, wie Jakob es manchmal tat, sagte «Na, dann!» und schloss das Tor.
    Er hatte Jakob in den anderthalb Jahren nicht besser kennengelernt als am ersten Tag. Nicht, als er Schulter an Schulter mit ihm den Acker bestellte, nicht, als sie gemeinsam den Wein in Fässer abfüllten und aus den Fässern in die Flaschen, und ebenso wenig, wenn Jakob am Ende des Tages gierig in der Küche aß, nicht anders als bei Neper. Als die Sonne unterging, hoffte Niclaus, dassJakob für immer verschwunden war, die Kutsche und die zwei Pferde, nicht die schönsten, würde er verschmerzen können. Er hoffte, dass es Jakobs Abschied gewesen sei, und bangte doch um seine Rückkehr, genauso wie seine Tochter.
    Er zweifelte, ob es mit Jakob besser sein würde als ohne ihn. Doch sie wussten, dass der Hof nur dank ihm aus der Asche wiederauferstanden war. Als Erstes hatte er die Zigeuner verpflichtet, die Ernte gerettet und das Haus wieder aufgebaut. Als Zweites neue Gerätschaften gekauft. Als Drittes hatte er plötzlich mit zehn Pferden dagestanden, die ihm
seine Zigeuner
, wie er sie nannte, beschafft hatten. Niclaus fragte nicht, woher, seine Tochter zahlte jedes Mal. Es waren robuste, gesunde Tiere, mit glänzendem Fell.
    «Nun, Schwiegervater, jetzt hast du deine Pferde wieder. Ich habe bald meinen Hof und du deine Pferde, das ist doch für uns beide ein gutes Geschäft.» Dann war Jakob ins Haus geeilt und hatte Schnaps und drei Gläser herausgetragen, auch Elsa musste trinken, da duldete er keinen Widerspruch. Elsa ihrerseits hatte sich an diesen Mann gewöhnt, an seine nächtlichen Besuche, seinen schweren Körper, der auf ihr liegen blieb, nachdem er gekommen war, stoßartig, keuchend, ihre Brüste fest drückend, mit aufgerissenen Augen, während sie ihre Augen von Anfang an geschlossen hielt.
    Er konnte reichlich kommen, auch in dieser Hinsicht herrschte bei ihm Überfluss. Seine Zehen streckten sich, seine Muskeln spannten sich an und zitterten, aus seiner Tiefe stieg ein zunächst kaum hörbares, dann immer lauteres Grollen empor, seine Halsadern schwollen an. Er verbog sich, wie wenn sein Rückgrat brechen würde. Erstemmte sich auf seine Arme, manchmal tropfte ihr sein Schweiß auf das Gesicht und ihren Bauch und vermischte sich dort mit dem Samen. Der Bettrahmen quietschte und stieß gegen die Wand. Sie wusste, dass ihr Vater zuhörte, sie schämte sich und schämte sich doch nicht, denn Jakob war fast schon ihr Mann.
    Jakob kehrte doch zurück, er pfiff zufrieden ein Lied vor sich hin, das er in der Stadt gehört hatte. Einen jener Schlager, die damals in Mode waren:
Die Menschen heutzutage / Die sind alle so nervös / Wegen jeder Kleinigkeit / Da werd’n sie giftig bös / Schimpft einer auf den ander’n / Dann singe ich voll Humor / Damit er nicht mehr schimpfen muss / Mein kleines Lied hervor.
    Er pfiff immer noch, als er vorbei am starrenden Niclaus die Pferde in den Stall brachte, als er das kleine Bündel aus Zeitungspapier auf sein Bett legte, und auch, als er dann zum Haupthaus ging. «Machen Sie sich morgen hübsch, Elsa. Wir fahren in die Stadt. Und nehmen Sie genug Geld mit.»
    Mehr brauchte Elsa nicht, um zu verstehen. Sie würde nun ihren Teil der Abmachung einlösen. Sie würde jenen Mann heiraten, der ihr nach anderthalb Jahren nicht mehr ganz fremd war. Sie freute sich aber auch, denn endlich war das Warten zu Ende, jetzt konnte nur noch das Warten auf mich beginnen. Gesagt aber hat sie immer nur: «Er hat mir gut gefallen, groß und kräftig, ein richtiger Mann. Er hat mir den Atem geraubt.» Sie würde nie eine bessere Antwort finden.
    Am nächsten Tag – einem milden Samstag im Frühling 1926 –, als man bereits schon daran denken musste, die Viehherden auf die Weiden zu treiben und das erste Mal zu pflügen, stand Jakob am offenen Fenster, das Handtuchüber der Schulter, und führte das Rasiermesser über seine feuchten Wangen. Er pfiff wieder sein Lied. Ein Pfeifen, manchmal fast nur ein Summen, manchmal ein nervöses, abgehacktes, tiefes Dröhnen, das die Grundmelodie meiner Kindheit werden sollte. Er war mit sich zufrieden, denn alles in allem gingen seine Pläne auf.
    Jakob setzte sich im besten Anzug

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