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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Leben nicht so stinken wie seine Geburt», bemerkte der Bauer.
    «Sei still, du Lümmel!», herrschte ihn Großvater an. «‹Wer Scheiße frisst, hat Glück›, sagen die Rumänen doch. Mein Enkel wird Glück haben. Jetzt nimm das Geld hier, und fahr in die Stadt. Such meinen Schwiegersohn am Hafen, und sag ihm, dass er zurückkommen muss.» Er steckte dem Mann ein paar Geldscheine zu, dann brachte er ihn hinaus. Als er zurückkam, wandte er sich an Ramina.
    «Wie viel willst du dafür haben, dass du uns geholfen hast?»
    Ramina ließ sich Zeit mit der Antwort. «Ich will euer Geld nicht», sagte sie nach einer Weile.
    «Was dann?»
    «Drei Fässer mit Fett von euren geschlachteten Tieren. Zweimal im Jahr.»
    «Wieso denn das?»
    «Da ich allein geblieben bin, muss ich mich um mich und das Kind kümmern. Betteln will ich nicht, und Kesselflicken kann ich nicht. Was ich gut kann, ist Seife machen.»
    Sie wartete Großvaters Reaktion ab, prüfte ihn mit ihren schlauen, wachen Augen. Als sie sah, dass er schnell dazu bereit war, erhöhte sie den Einsatz. Sie räusperte sich: «Und vier Hühner pro Monat, bis der Kleine volljährig ist.»
    «Ist das nicht ein bisschen zu viel?», fragte er.
    «Ist euch der Junge keine vier Hühner und etwas Fett wert?»
    «Aber wieso gerade vier?»
    «Wenn ich jeden Sonntag einen Topf Hühnersuppe koche, reicht mir das für fast eine Woche. Vier Hühner, vier Wochen, einfache Rechnung.»
    Großvater sah Mutter ratlos an, die ihm aber zunickte. So wurde das Geschäft besiegelt, das Ramina einen zumindest halb vollen Bauch garantierte und mir ab sieben oder acht Jahren einen wöchentlichen Besuch bei ihr.
    Es wird erzählt, dass der Arzt, den Vater aus Temeschwar gleich mitgebracht hatte, mich gründlich untersuchte, bevor er sagte: «Es wäre ein Wunder, wenn der Junge überlebt. Er ist anämisch und in schlechter Verfassung.» Dann kam Vater dran, dem der Bauer unterwegs von den Umständen meiner Geburt berichtet hatte. Er bückte sich über mich, ohne mich zu berühren. «Ein Schwächling. Er sieht mir gar nicht ähnlich. Er könnte jedermanns Kind sein. Mit wem haben Sie diesmal herumgehurt?», fragte er Mutter. Dann schnüffelte er an mir herum. «Der Junge riecht wirklich nach seiner Geburt.» Da hatte mir der Bauer etwas eingebrockt, denn fortan würde Vater immer sagen: «Du riechst nach deiner Geburt», wenn er zeigen wollte, was er von mir und meinem Leben hielt.
    Noch in derselben Nacht erschien Mutter auf der Türschwelle zu Großvaters Zimmer. Sie hielt mich in den Armen. Großvater schaltete die Lampe an und erschrak, denn Mutter wirkte wie erloschen. Als ob die letzten Spuren der Kraft, die sie nach Amerika und wieder zurückgebracht und die sie gebraucht hatte, um in den letzten Jahren den Hof wiederaufzubauen, in wenigen Augenblicken aufgebraucht worden wären. Ihre Stimme war matt und ausdruckslos, als ob eine große Müdigkeit von ihr Besitz genommen hätte.
    «Er nimmt ihn nicht einmal in die Arme. Er will ihn nicht», flüsterte sie.
    «Das wird sich ändern, wenn er kräftig und gesund wird.»
    «Er will ihn nicht einmal im Zimmer haben.» Sie legte mich auf Großvaters Bett ab. «Nimm ihn zu dir, Vater. Ich werde ihn füttern, aber du kümmerst dich um ihn.»
    «Ich?», fragte Großvater verdutzt.
    «Ich kann es nicht.»
    «Du bist doch seine Mutter.»
    «Aber er ist mein Mann.»
    Sie schloss wieder die Tür. Ich quengelte. Großvater schaute mich lange an, dann holte er Zucker. Er legte sich wieder ins Bett, zog die Decke über uns beide und befeuchtete seinen kleinen Finger. Er tauchte ihn dann in den Zucker und schob ihn sanft zwischen meine Lippen. Danach schaltete er die Lampe wieder aus.
    Vater verzieh Mutter nie, dass sie den Namen Obertin buchstäblich in den Dreck gezogen hatte. Dass sie vor den Augen der Welt geboren und sich entblößt hatte, als wäre sie ein billiges Flittchen. Schlimmer als alles andere, als der Verdacht, dass Mutter in Amerika ihren Körper verkaufthatte, lastete diese Schmach auf unserer Familie und führte dazu, dass er sie nie wieder berührte. Ich aber hatte Glück, denn ich überlebte.
    * * *
    Die zweite Version meiner Geburt war die Raminas. Der Bulibaşa hatte sie auf dem Zigeunerhügel zurückgelassen, obwohl sie über ein Jahrzehnt seine Krankheiten auskuriert, seine Säfte in Bewegung gehalten und ihn mit Kräutern ernährt hatte, deren magische Wirkung nur sie allein kannte.
    «Wenn ich gewusst hätte, dass er mit einer

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