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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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trug sie einige Tücher. Ihnen folgte eine Schar von Neugierigen, die sehen wollten, wie auf dem Misthaufen ein neues Leben geboren wurde. Bärtige, schwarz gekleidete Männer mit billigen Zigaretten im Mundwinkel, Frauen mit bunten Röcken, an denen sich ein Kind festhielt. Um den Wagen hatten sich bereits einige verspätete Bauern und übernächtigte Jäger versammelt.
    Die Menge, von der kleinen Abwechslung in ihrem dünnen Alltag beflügelt, war kaum zu halten und überholte lärmend Ramina. Erst als sie nah beim Karren waren, verstummten die Leute allmählich, manch eine Frau hob ihr Kind hoch, damit es eine gute Sicht auf Mutter hatte.Sie umkreisten den Karren, und Ramina musste ihre ganze Autorität einsetzen, um sich einen Weg hindurchzubahnen. «Platz da!», rief sie und stieß die Menschen weg.
    Als sie in den Karren schaute, konnte auch sie sich ein «Heilige Mutter Gottes!» nicht verkneifen. «Das Kind ist schon unterwegs.» Sie stieg in den Karren. Zehn Minuten später kam ich unter den aufmerksamen, verwunderten Blicken einer schrillen Menschenmenge auf die Welt. Ramina verlangte ein Messer von einem der Zigeuner, wusch es im Eimer und durchschnitt damit die Nabelschnur. Der Zigeuner wollte die Nabelschnur haben, um seinen Hund zu füttern.
    Als ob ich ahnte, dass ich von da an endgültig allein und ausgesetzt sein würde, weinte ich laut. Ramina nahm mich in die Arme und zeigte mich den Leuten. «Es ist ein Junge!», rief sie. «Das ist nicht zu überhören», meinte ein Jäger und schoss in die Luft.
    Ich war ein verschrumpeltes, hässliches Ding, das schreiend und heulend die erste Plage seines Lebens über sich ergehen lassen musste. Jene der Fliegen, die sich lästig und hartnäckig auf mich setzten wie sonst nur unheilbare Krankheiten oder der Tod. Sie drangen mir in die Augen und den Mund, sie ließen auch dann nicht von mir ab, als Ramina sie vertreiben wollte. Sie setzten sich auf Mutters weiße Schenkel, während ihre Hände weiterhin den Karrenrand umklammerten, als alles längst schon vorbei war. Erschöpft und mit gerötetem Gesicht starrte sie in die Menge, und die Menge starrte zurück. Weil die Neugierde größer war als der Ekel, zog sich der Kreis wieder um mich und Mutter zusammen.
    Großvater ließ die Zügel los und kam nach hinten. Er nahm den Hut vom Kopf und drückte ihn an die Brust,als ob er in der Kirche mit dem Pfarrer reden würde. «Ist er gesund?», fragte er Ramina. «Er sieht gesund aus, aber man muss abwarten. Was ich aber sicher sagen kann, ist, dass er mächtig stinkt.» Dann tauchte sie mich mehrmals in den Wassereimer ein und wickelte mich in die mitgebrachten Tücher.
    Zwei Männer halfen Mutter, auszusteigen und in dem Pferdewagen eines der Bauern Platz zu nehmen. Ramina setzte sich mit mir auf den Armen dazu, dann fuhren wir, dicht gefolgt von Großvater in seinem Karren, ins Dorf zurück. Die Glocke läutete nicht. Sie war nur für die Toten vorgesehen, als Trost und letzten Sieg über die Lebenden. «Wollen Sie ihn halten?», fragte Ramina. «So eine Schmach», murmelte Mutter.
    Die Nachricht über meine Geburt hatte sich in Windeseile verbreitet, und von überall tauchten Menschen auf, um Mutter und mich zu sehen. Sie schaute weder nach links noch nach rechts und biss sich auf die Zähne, bis sie im Haus war. «Eine Zigeunerin. Und ich auf diesem Wagen. Und alle haben es gesehen», flüsterte sie.
    Zu Hause trugen Großvater und der Bauer Mutter ins Schlafzimmer und legten sie aufs Bett. Der Bauer brachte frisches Brunnenwasser hinein, dann schickte Ramina ihn und Großvater hinaus, während ich auf ein Kissen neben Mutter gelegt wurde. Sie knöpfte Mutters Kleid auf, zog es ihr aus und wusch sie gründlich.
    Sie schrubbte Mutters Körper von den Zehen über die Schenkeln bis zum Bauch und den Brüsten ab, als ob es der des Bulibaşa wäre. Dabei wirkte sie verärgert, sie drückte so fest, bis Mutter schrie. Ramina ließ von ihr ab, deckte sie zu und legte mich ihr an die Brust. Mutter nahm mich zögerlich in die Arme.
    «Was ist los mit dir, Ramina?», fragte Mutter.
    «Gar nichts, gnädige Frau.»
    «Ich sehe, dass auch du schwanger bist.»
    «Bin ich.»
    «Der Bulibaşa muss stolz sein.»
    «Er ist vor einem Monat abgehauen, so schnell, dass ich ihn nicht mehr finden konnte. Aber meine Verwünschungen werden es tun. Jetzt müssen Sie sich um den Jungen kümmern.» Sie öffnete die Tür und ließ die beiden Männer wieder hinein.
    «Hoffentlich wird sein

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