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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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so würden hier immer noch nur ein paar magere Schafe grasen, und es würde nur Dornengestrüpp geben. In dieser wichtigen Stunde müssen wir alle zusammenhalten und zu unserer Heimat und unseren Wurzeln stehen. Ich schlage vor, dass wir die Deutsche Volksgruppe Triebswetter gründen, das Frauenwerk, den Bund Deutscher Mädchen und den Jugendbund. Der Jugendbund soll die militärische Ausbildung der jungen Männer unter der Leitung von Herrn Kirsch fortsetzen und beschleunigen. Damit sie sobald als möglich für unsere Sache in den Krieg ziehen können.»
    Ein zustimmendes Raunen ging durch den Saal, dann hörte ich, wie ein Stuhl gerückt wurde und einer das Wort ergriff. «Mit Verlaub, aber wer ist hier überhaupt Schwabe? Die wenigsten. Meine Vorfahren und die von vielen unter euch sind aus Lothringen gekommen, einige aus dem Elsass, aus Luxemburg, aus Bayern. Man hat uns doch bloß Schwaben genannt, weil Frederick Obertin und alle anderen bei Ulm auf die Flöße gestiegen sind, die siehierhergebracht haben. Mein Vater hat immer behauptet, dass die Holzbalken in unserem Haus von einem jener Flöße stammen. Aber reicht das schon aus, um uns Schwaben zu nennen? Ich weiß nicht, unser Blut hat sich in 170 Jahren so vermischt, dass man kaum Klarheit haben kann, wer deutsch ist und wer nicht.» Erneutes, diesmal unruhiges Raunen war zu hören.
    «Das ist nicht wahr!», rief einer. «Meine ersten Vorfahren waren Franzosen, aber alle anderen Deutsche. Egal, ob Schwaben oder nicht Schwaben, sie waren deutsch. Das genügt mir.» Es gab einige Zustimmung im Saal.
    «War Frederick Obertin überhaupt deutsch?», fragte ein anderer.
    «Natürlich!», hörte ich Großvater sagen. «Was denn sonst?»
    «Wie wurde sein Name denn geschrieben?», fragte jemand.
    «Es klingt wie Aubertin mit
A
und
u
, und das wäre Französisch. Und Frederick? Mit
k
oder ohne
k

    Ich hörte jetzt, wie jemand aufstand und durch den Raum ging, dann wurde ein Schrank geöffnet, etwas hervorgeholt und mit dumpfem Geräusch auf den Tisch fallen gelassen. «Das ist die Dorfchronik», hörte ich den Franzosen-Dimansch sagen, dann blätterte er sie durch. «Sie beginnt im Mai 1772. Fredericks Name müsste ganz am Anfang stehen. Hier ist es, gleich auf der ersten Seite:
Es ist nun ein Monat vorbei, seitdem unser erster Richter, Frederick Obertin, der uns in das Banat geleitet hat, bei heftigem Regen vor den versammelten Honoratioren und Ingenieuren aus Temeschwar und in Anwesenheit seiner Erlauchten Exzellenz, Baron Alvincsy, uns allen, die an der Dorfgrenze darauf warteten, unsere Häuser in Besitz zu nehmen, zugerufen
hat: Willkommen in Triebswetter! Arbeitet hart, und vermehrt euch, dann haben wir hier auch eine Zukunft!
    «Du brauchst uns nicht das ganze Buch vorzulesen. Wie wurde sein Name geschrieben?», fragte Großvater.
    «Obertin mit
O

    «Na also», sagte Großvater. «Und sein Vorname?»
    «Nicht mit
c
, mit
k

    Der Bürgermeister klopfte mit der Faust auf den Tisch, er brauchte seine ganze Kraft, um sich Gehör zu verschaffen.
    «Brüder, wir machen Geschäfte mit Ungarn, Bulgaren und Rumänen. Sogar mit Juden. Bis vor Kurzem haben Zigeuner unsere Kessel geflickt, und wir geben diesem Zigeunerjungen, Sarelo, unsere Messer zum Schleifen. Sogar ein Serbe lebt hier, und manche unter euch tragen die Anzüge, die seine Frau genäht hat. Aber das ändert nichts daran, dass wir zwar einmal Lothringer, Elsässer, Franzosen und Deutsche gewesen, aber später Schwaben geworden sind. Ich beantrage, dass wir jetzt über meine Vorschläge abstimmen. Und dass wir im kommenden Mai eine Fahnenweihe veranstalten.»
    Jetzt mischte sich Pfarrer Schulz ein: «Ich kenne euch alle. Viele habe ich getauft, konfirmiert und getraut. Viele eurer Kinder ebenso, die vielleicht bald für unsere Sache in den Krieg ziehen müssen. Deshalb fällt es mir nicht leicht zu sagen, dass ich als Diener Gottes diesen Krieg für notwendig halte. Wir haben den besten Feldherrn aller Zeiten, und deshalb und mit Gottes Hilfe wird er auch bald für uns entschieden werden. Heil Hitler!» Nun wurden jede Menge Stühle gerückt, und Hitler wurde zuerst von wenigen, dann aber von immer mehr Männern geheilt.
    Inmitten dieses Lärms konnte ich deutlich VatersStimme hören: «Habt ihr euch auch gut überlegt, was es bedeutet, wenn der Krieg zu uns kommt? Es ist einfach, sich den Krieg zu wünschen, wenn der Krieg in Polen ist. Aber wer soll sich um die Erde hier kümmern, wenn unsere

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