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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Söhne alle weg sind? Ich verstehe euch nicht, vielleicht, weil ich nie einer von euch war. Aber ich weiß, dass mir meine Erde wichtiger ist als euer Krieg. Ich bin Bauer, nicht Soldat, deshalb kann mich der beste Feldherr …»
    Weiter achtete ich nicht mehr auf Vaters Worte, denn Katica kam die Gasse entlang, barfüßig wie ich, die Haare zu Zöpfen geflochten. Sie packte das Huhn, das sich inzwischen befreit hatte, und brachte es mir. Ohne ein Wort zu sagen, kramte sie ein Stück Nähgarn aus einer Tasche hervor, band das eine Ende um den Hals des Huhns, das andere um mein Fußgelenk. «So, jetzt hast du dein Huhn immer bei dir», sagte sie auf Rumänisch.
    Ich hielt mir den Zeigefinger an den Mund, sodass sie verstummte und sich noch tiefer duckte. «Die Männer reden vom Krieg», flüsterte ich.
    «Vater redet auch immer davon. Er sagt, dass es für die Serben schlimm enden wird», erwiderte sie.
    «Bist du die Serben-Katica?», fragte ich, als ob ich es nicht schon wüsste.
    «Ich habe das Kleid einer Kundin nach Hause geliefert. Und du bist Jacob?», fragte sie.
    «Jacob Obertin.»
    Das Huhn scharrte ruhig am Ende des Fadens, ich winkelte langsam das Bein an und zog es sanft zu mir, entfernte den Faden, packte es unterm Arm und stand auf.
    «Wo bringst du deine Hühner hin?»
    «Zu Ramina. Das kriegt sie von uns für meine Geburten.»
    Katica begann zu lachen. «Wie viele hast du denn gehabt?»
    «Zwei. Willst du mitkommen?»
    Ich stopfte das Huhn in den Sack, hob ihn mir auf die Schulter, und wir machten uns gemeinsam auf zum Zigeunerhügel. Diesmal gelang mir fast alles, ich schaffte den Sprung über den Graben und schleppte auch ganz allein den Sack hoch. Ich kam verschwitzt und außer Atem oben an.
    «Was hast du?», fragte sie.
    «Ich habe eine schwache Konstitution.»
    «Was ist das, eine Konstitution?»
    «Das sagen die Ärzte aus Temeschwar und Neper. Das bedeutet, dass jemand mehr krank als gesund ist.»
    Sie zuckte mit den Achseln, und wir betraten Raminas dunkles, dunstiges Reich.
    * * *
    Herr Kirschs Hände waren so groß wie Bärentatzen. Man erzählte sich, dass er einst Boxer gewesen war und kein untalentierter dazu, dass aber das Asthma ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte. Alle paar Sätze stockte er und musste nach Luft schnappen. Es schien, als stauten sich die Worte in seinem Mund, bevor sie einzeln durch die schmale Öffnung ins Freie fanden. So geriet jeder seiner Monologe über unsere Überlegenheit und die der deutschen Armee zu einem Hürdenlauf.
    Lehrer Kirschs Konstitution erinnerte mich andauernd an meine eigene. Ich war kaum fünf Jahre alt, als Mutter mich nach Atem ringend im Bett fand. Vater holte Neper, aber der gab sich schnell geschlagen. «Wenn wir nicht einen Arzt aus Temeschwar holen, stirbt er», sagte Großvater.«Bis der Arzt hier ist, ist er schon tot», meinte Neper.
    Ich hatte Fieber, das immer weiter anstieg, sie legten mir kalte Kompressen auf meinen ausgezehrten Körper und befeuchteten meine aufgesprungenen Lippen. Ich hustete, schrie vor Schmerzen und atmete nur noch mühsam. «Soll ich den Pfarrer holen?», fragte Großvater. «Ramina und den Pfarrer», meinte Mutter.
    Der Erste, der eintraf, war Pfarrer Schulz. Er setzte sich auf meine Bettkante, nahm meine verschwitzte Hand in die seine und begann zu beten. Dann bereitete er alles für die Krankensalbung vor. Er berührte meine Augen, Ohren und Nase, meine Stirn und Hände mit dem Öl.
Durch diese heilige Salbung helfe dir der Herr in seinem reichen Erbarmen, er stehe dir bei mit der Kraft des Heiligen Geistes: Der Herr rette dich, in seiner Gnade richte er dich auf.
    «Und die Beichte?», fragte Mutter.
    «Was soll dieser Junge schon gesündigt haben?», fragte der Pfarrer zurück.
    «Wenn Gott ihn zu sich ruft, dann weiß er, wieso», sagte Großvater. Doch Gott hatte andere Pläne mit mir.
    Ramina, die es geschafft hatte, sich durch ihre Tür zu schieben, war von ihrem Hügel herabgestiegen. Sie hatte sich auf Sarelo gestützt, der zuvor zwei Holzbretter über den Graben gelegt hatte. Die Bretter bogen sich bedrohlich unter ihrem Gewicht. Auf ihrem Gang durchs Dorf bestaunte man sie von allen Seiten, manch einer hatte sie für tot geglaubt. Dann stand sie endlich verschwitzt und wie ein Ochse schnaubend vor unserer Tür. Mit der Hilfe ihres Sohnes konnte sie sogar über die Türschwelle treten.
    «Herr Pfarrer, bevor Gott zum Zuge kommt, schaut lieber Ramina nach», sagte sie auf

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