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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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die dich liebt, / machst du glücklich wie noch nie.
    «Für irgendetwas müssen die zwei Jahre Elektronikschule ja gut sein», pflegte er zu sagen, wenn Mutter sich beklagte, dass er wieder einmal für Stunden unansprechbar war. Er rief mich zu sich, zündete sich eine selbst gedrehte Zigarette an und lehnte sich zurück. Er legte den Arm um mich.
    «Wenn wir erst mal unser eigenes Radio haben, müssenwir nicht mehr beim Pfaffen den Soldatensender aus Belgrad hören. Unser Gerät wird besser sein als sein Blaupunkt. Was denkst du, was können wir dann hören?», fragte er.
    «Ich weiß nicht. Amerika vielleicht?»
    Er lachte und zwinkerte mir zu: «Klar doch, Amerika. Aber nur bei gutem Wetter. Jetzt leg mal eine von Mutters Platten auf, da hören wir dann gleich die amerikanische Musik.»
    Das Grammophon stand in einer Ecke auf einem kleinen Tisch, und die Platten wurden von Mutter in einem Schrank aufbewahrt. Jedes Mal, wenn sie eine herausholte und auflegte, wendete sich ihr Blick nach innen, auf Pfaden, die uns verborgen blieben.
    Mutter schloss den Schrank auf und erlaubte mir, die Musik auszusuchen. Vater näherte sich ihr von hinten und packte sie an den Hüften. Es war sehr selten, dass er so etwas tat, und Mutter und ich erschraken. Er umfasste sie schließlich, und sie versuchte ohne große Überzeugung, sich zu befreien. Ihr blieb keine andere Wahl, als ihm zu folgen, und sie drehten sich eine Weile durch die Stube, während die Nadel immer wieder stecken blieb und ich sie neu aufsetzen musste.
    Vater lachte, er war nur mit ein Paar Hosen und Stiefeln bekleidet, hatte etwas Speck angesetzt, war aber immer noch ein ansehnlicher Mann. Wenn er Mutter drehte, hob sich wirbelnd ihr Rock.
    «Haben Sie in Amerika auch so getanzt?», fragte er sie. «Sagen Sie uns doch endlich, was Sie drüben getan haben. Bei diesem Mr. McCain.»
    «Erst wenn Sie uns erzählen, wer Sie wirklich sind», erwiderte sie.
    Sie versuchte sich loszureißen, stemmte sich gegen ihn, aber seine Umklammerung wurde fester. Dann aber gab er sie unerwartet frei, und sie verlor beinahe das Gleichgewicht. «Hat Sie Mr. McCain auch siezen müssen?» Sie streckte die Arme nach mir aus und forderte mich zum Tanzen auf, aber Vater hatte sie bald wieder fest im Griff. Der Tanz wurde zu einem stummen Kampf. Das Lied trat seit Langem auf der Stelle, und ich wusste nicht, was ich tun sollte.
    Ich sah, dass Mutter keuchte und von ihm loszukommen versuchte, während sich seine Arme wie eine Zange um sie schlossen. Mehrmals wollte ich davonlaufen, doch um ihr zu helfen, machte ich einige Schritte auf die beiden zu und rief: «Ich habe eine Frage!»
    Es dauerte lange, bis er mich wahrnahm, Mutter losließ und sich mir zuwandte. «Ich höre.» Ich hatte nicht überlegt, was ich fragen wollte, also trat ich unentschlossen von einem Bein aufs andere. Ich grübelte darüber nach, was wohl besser wäre, mich aus dem Staub zu machen oder zuzugeben, dass ich ihn umsonst gestört hatte.
    Plötzlich hatte ich die rettende Idee: «Ich wollte fragen, was das ist,
unsere Sache
? Der Lehrer redet immer davon.»
    Vater zog seine Hose hoch, während sich sein Blick verdunkelte. «Und was sagt er noch?» Er kam näher.
    «Dass bald alles deutsch sein wird und wir alle in einer Uniform stecken werden. Dass wir dann alle in den Krieg ziehen.» Er war keine Armlänge mehr von mir entfernt, und ich wurde immer unruhiger.
    «Und willst du Soldat werden?»
    «Nicht nur ich, alle in meiner Klasse wollen es.»
    Der Schlag traf mich unvorbereitet, sodass ich zu Boden fiel. Er zog einen seiner Stiefel aus und drückte ihnmir ins Gesicht. «Du willst Soldatenstiefel anziehen? Dann kannst du jetzt mal sehen, wie es ist, unter solchen Stiefeln zu liegen. Denn so wird es dir ergehen, du überlebst keinen einzigen Tag.» Mutter verschwand ins andere Zimmer, um sich unters Kruzifix zu legen.
    «Mutter!», rief ich.
    «Du kannst rufen, solange du willst. Sie wird dir nicht helfen.»
    «Es tut weh!»
    «Das ist gut so. Meinst du, du kannst Soldat werden, wenn du nicht den kleinsten Schmerz aushältst?»
    «Du bist nicht mein Vater, du bist niemand!», rief ich ihm zu.
    Dann versuchte ich, unter den Tisch zu flüchten, wo ich seinen Schlägen besser ausweichen konnte. Von dort aus waren es nur wenige Schritte bis zur Tür, und wenn ich schnell genug gewesen wäre, hätte ich sogar Zeit gehabt, meine Schuhe zu packen, um sie dann auf der Gasse anzuziehen und mich zum Friedhof

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