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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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vergeblich bemühen würde, sie aus dem Haus zu holen. Keine zehn Pferde würden es schaffen, wenn Ramina sich anders entschieden hatte. «Zehn Pferde nicht, aber die rumänische Armee», entgegnete der Hauptmann.
    Er machte sich zur Hügelspitze auf, während sich seine Soldaten unschlüssig die Beine vertraten. Großvater bot ihnen Zigaretten an, die sie gierig rauchten. Nach einiger Zeit kam der Hauptmann aus Raminas verfallenem Haus, noch ratloser als zuvor. Das war ihm auch aus der Ferne anzusehen, betonte Mutter. Er kam den Hügel herunter und rief vier Soldaten zu sich.
    Inzwischen hatte sich herumgesprochen, dass man Ramina wegbringen wollte, und viele Bauern und Kinder waren aus dem Dorf herbeigeeilt, um dieses Ereignis zu sehen. Sie blieben aber auf Distanz, eingeschüchtert durchdie Uniformen. Die Soldaten legten ihre Waffen ab, liefen nun ihrerseits den Hügel hoch, dann verschwanden auch sie im Hausinnern.
    Eine Weile geschah gar nichts, dann kam einer von ihnen heraus, er wirkte hilflos und machte dem Hauptmann Zeichen. Dieser fluchte – die breiten, saftigen Flüche der Rumänen –, dann zeigte er auf einen Bauern: «Du dort! Geh nach Hause und hol etwas Werkzeug, damit wir eine Wand einreißen können.» Der Bauer rührte sich zunächst nicht von der Stelle. «Worauf wartest du noch? Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.» Der Offizier fluchte wieder.
    Als der Bauer zurück war, nahmen ihm die Soldaten das Werkzeug ab und machten sich an die Arbeit. Es dauerte nicht lange, und sie hatten ein Loch in die marode Mauer gerissen, durch das sie nicht nur Ramina, sondern ein ganzes Pferd hätten hinaustragen können. Dann gab der Hauptmann weitere Befehle, die Soldaten, die drinnen nicht benötigt wurden, bildeten ein Spalier, und aus dem Haus drang bis zur Gasse die Aufforderung: «Männer, auf drei hebt sie hoch!»
    Zuerst tauchte eine Ecke des Sofas auf, dann drei oder vier kräftige Soldaten, dann Ramina, die wie auf einem Thron dasaß. Sie wurde mit solcher Vorsicht durch die aufgerissene Wand geschoben, als ob man ihr nichts Böses wollte, sondern ihr zu Diensten stünde. Treu und geduldig hielt das Sofa ihr Gewicht aus. Als die ganze Ramina mitsamt dem Sofa draußen war, übernahmen andere Schultern die schwere Last. Dann folgten wieder andere auf dem Weg nach unten. Von vielen Armen und Schultern getragen, schwebte Ramina durch die Luft und schien für einen Augenblick federleicht zu sein. «Wie eine Königin hat sie ausgesehen», meinte Mutter.
    Mit Mühe brachten sie sie über den Graben hinweg, dann hoben sie sie auf einen der Lastwagen. «Sollen die in der Stadt sehen, was sie mit ihr anfangen wollen», zischte der Hauptmann. Stur und unbeweglich saß sie dort oben und schaute zu den Menschen hinunter. Dann geschah etwas Überraschendes. Eines der Kinder rief: «Auf Wiedersehen, Ramina!» Einige Bauern taten es ebenfalls, Mutter und Großvater auch. «Auf Wiedersehen, Leute», antwortete sie. «Wir sehen uns im Himmel. Ich weiß nicht, wie es um euch steht, aber ich komme bestimmt dorthin.»
    Die Lastwagenkolonne setzte sich in Bewegung, bis zuletzt blickte Ramina zurück und sah, wie sich der Hügel, das Dorf, ihr ganzes Leben unwiederbringlich von ihr entfernten. Großvater musste Sarelo zurückhalten, damit er nicht hinterherlief und sich verriet. In Großvaters Armen wurde er zuerst hart wie ein Stein, dann aber weich wie ein Stück Teig.
    In der Nacht erwachte ich, weil ich seltsame Geräusche aus dem Stall hörte. Die Umrisse des Pferdewagens, auf dem Raminas Schatz auf ein neues Versteck wartete, zeichneten sich deutlich in unserem Hof ab. Im schwachen Licht einer Lampe schaufelten Vater und Sarelo, so viel konnte ich durch das halb geöffnete Stalltor sehen, dort, wo sonst Großvaters Pferde standen, ein Loch in den Boden.
    Einige Tage nach Raminas Evakuierung fuhr ich dick eingehüllt mit Großvater aus dem Dorf, damit ich den nun verlassenen Hügel sehen konnte. Großvater, der seine Pferde selten auspeitschte, sondern meist nur mit einigen leisen Ausrufen führte, saß mürrisch neben mir. Wir hatten erfahren, dass Vater uns bald in die Verbannungnach Temeschwar schicken wollte, mich in die deutsche Schule und ihn als meinen Begleiter. Wir würden in unserem Stadthaus wohnen und vom Hof regelmäßig mit allem beliefert werden, was wir dort zum Leben brauchten.
    «So erledigt dein Mann zwei Fliegen mit einer Klappe», hatte Großvater zu Mutter gesagt. Mutter hatte mit den Achseln

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