Jacob beschließt zu lieben - Roman
in den ersten Wochen gestorben. Als sie nichts mehr zu essen hatten, haben sie ihre Pferde gegessen, das ist schlimm für einen Zigeuner, seine Pferde zu töten. Als sie nichts mehr zu heizen gehabt haben, haben sie ihre Wagen verfeuert. Dann sind einige junge Männer in die nächste Stadt marschiert, aber dort war es genauso schlimm. Tausende sind in Hallen und Häusern zusammengepfercht worden und haben verbrannt, was sie gefunden haben. Türen, Tische, Bäume. Niemand weiß, wohin mit all den Zigeunern, denn auch die Ukrainer, die dort leben, haben nicht viel. Die Leichen liegen auf der Straße, und niemand kümmert sich um sie. Was ist das für eine Welt, wo man Tote nicht mehr begräbt?»
Mutter atmete kräftig durch: «Das sind Geschichten, Ramina, wie du sie auch erzählst. Der Mann wollte dir nur Angst machen, das ist alles.»
«Vielleicht haben Sie recht, vielleicht nicht. Ich glaube aber, dass es schlimm für mich enden wird. Wo soll ich dort so viel zu essen finden, wie ich brauche, wenn das nicht einmal ein dürrer, mickriger Zigeuner schafft?» Sie seufzte herzzerreißend.
«Du hast mehr Reserven als andere, und du wirst abnehmen», mischte sich Großvater ein.
«Was willst du eigentlich?», fragte Vater unwirsch. «Ich kann leider nichts für dich tun. Ich kenne zwar den Gendarmeriekommandanten, aber solche Verfügungen kommen von ganz oben.»
«Keine Angst, gnädiger Herr, für mich müssen Sie nichts tun. Ich aber werde etwas für Sie tun.» Ich stellte mir vor, dass Vater in jenem Moment sehr überrascht war.Ramina fuhr fort: «Ich habe einen Sohn, den Sie alle kennen. Er ist nicht der Intelligenteste, aber er ist geschickt mit den Händen, und er ist hartnäckig. Was er erreichen möchte, erreicht er auch. Er verkauft die meisten Messer, die er macht. Nicht einmal Sie, Großvater, schaffen es, all Ihre Tiere auf dem Markt loszuwerden. Der Junge kann etwas, und er könnte noch mehr, wenn man ihn anleiten würde. Ich will nicht, dass er so jung sterben muss …»
«Komm zur Sache, Ramina. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit», ermahnte sie Vater.
«Aber ich bin schon dabei. Jacob ist kränklich und nicht fähig, später den Hof zu führen. Er hat wohl auch kein Talent zum Geschäftsmann, ich kenne ihn gut. Um es kurz zu machen, ich biete Ihnen meinen Sohn an. Er soll nicht am Bug sterben wie seine Mutter. Sie würden auch nicht wollen, gnädige Frau, dass Jacob stirbt, bloß weil jemand entschieden hat, dass er sterben muss.» Raminas Stimme wurde flehentlich.
Ich stelle mir vor, dass Vater es war, der auf den Tisch klopfte, als er wütend sagte: «Ist es das, was du mir anbieten willst, du Unverschämte? Deinen Sohn? Soll ich ihn auch noch durchfüttern, so wie ich dich durchgefüttert habe? Hört das nie mehr auf?» Ich stelle mir vor, dass Ramina ruhig sitzen geblieben ist und sich mit ihren vor List funkelnden Augen die Szenerie angesehen und gewartet hat, bis sich diese erste Woge der Empörung gelegt hatte.
«Mein Sohn wird Ihnen gut dienen, besser als Jacob. Er könnte sogar Ihre rechte Hand werden. Sie brauchen doch irgendwann einmal einen Nachfolger hier.» Ich stelle mir vor, dass Ramina die Wirkung, die sie mit ihren Sätzen erzielte, genoss. Und sie wusste bestimmt, wer daaus dem Nebenzimmer mithörte und, ob solchen Verrats seinen Ohren nicht traute. Doch ich denke ebenso, dass sie nicht anders konnte, als so hoch zu pokern und ihrem Sohn das Leben zu retten. Wer könnte es ihr verübeln?
Ein Stuhl kippte um, und Vater ging mit seinen schweren Stiefeln in der Stube auf und ab. Seine Stimme war einmal näher, dann wieder weiter weg. «Mein Nachfolger? Ein Zigeunerjunge? Einen deutschen Hof? Mach, dass du wegkommst! Raus!», rief er.
«Beruhigen Sie sich. Sie werden sehen, es lohnt sich», antwortete Ramina, ohne sich von der Stelle zu rühren. «Ich habe erwartet, dass Sie die ganze Sache so sehen, obwohl Sie anders darüber denken werden, wenn Sie ihn einmal besser kennen. Er ist anspruchslos und kann sogar im Stall schlafen. Aber ich habe zwei gute Gründe, wenn das nicht genügt», fuhr sie fort.
«Raus!», wiederholte Vater und öffnete die Eingangstür.
«Gnädiger Herr, machen Sie bitte die Tür wieder zu, denn es zieht. Ich sagte schon, dass es sich für Sie lohnen wird.»
«Ich sehe nicht, wie!»
Ramina wartete ab, und ich stelle mir ebenfalls vor, dass sie den Augenblick auskostete, bis sie schließlich sagte: «Ich gebe Ihnen nicht nur meinen Sohn, ich gebe Ihnen
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