Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
Vom Netzwerk:
gezuckt und sich ins Schweigen geflüchtet. «Sag doch was!», hatte er sie herausgefordert. «Du sagst nie etwas.»
    «Was soll ich schon sagen? Er hört auf niemanden. Außerdem braucht der Junge Bildung und jemanden, der für ihn sorgt. Es ist gut, wenn du bei ihm bist, Vater. Du wohnst dort bequemer als im Gesindehaus. Glaube mir, es ist für alle besser so.»
    Großvater schüttelte den Kopf. «Ich erkenne meine Tochter nicht mehr wieder.»
    Weit draußen auf dem Acker exerzierten einmal mehr Männer, den knappen Befehlen des Lehrers Kirsch folgend. An Pfählen hatten sie mehrere Vogelscheuchen befestigt und feuerten aus einiger Entfernung darauf los. Ich kann nicht behaupten, dass ich, dessen Beine wie Zahnstocher aus den kurzen Hosen ragten, mir nicht manchmal gewünscht hätte, als ein fähiger und zu allem fähiger, kräftiger deutscher Junge bei ihnen zu sein.
    Großvater drehte sich eine Zigarette, dann zeigte er auf sie. «Ich bin froh, dass du nie Soldat sein wirst, Jacob.»
    «Kommt der Krieg bis zu uns?», fragte ich ihn.
    «Das weiß nur der Krieg. Jedenfalls kann er gar nicht schnell genug sein, so wie manche von uns Lust auf ihn haben.» Er schwieg. «Siehst du dort deinen Lehrer, den Kirsch?», fragte er nach einer Weile. «Ich habe seinenGroßvater gut gekannt. Er war ein verschlossener Mann, der nur einen Traum hatte: zu fliegen. Dafür hat er alles vernachlässigt, seinen Hof, seine Pflichten im Dorf und seine Frau, die ihn dann verlassen hat. Jede freie Minute hat er in der Scheune verbracht und an seinem Flugapparat herumgebastelt. An einem Sonntag, gleich nach dem Kirchgang, hat er ihn mit zwei Pferden auf die Gasse und dann bis auf den Hügel gezogen, der damals noch keinen Namen hatte, weil noch kein Zigeuner dort wohnte. Von dort, wo jetzt Raminas Hütte steht, hat er Anlauf genommen, und er ist tatsächlich geflogen, ein paar Fuß hoch, und das lange vor diesem anderen, Otto Lilienthal. Bei der Landung hat er sich genauso das Genick gebrochen wie der Kraftkünstler Fischer. Aber sag mir jetzt, was ist eigentlich dümmer? Im Krieg zu fallen oder vom Himmel?»
    «Tot ist tot, Großvater. Glaubst du, dass auch Ramina sterben wird?»
    «Gut möglich. Die Zeiten sind für solche wie sie besonders schlecht. Komm, ich will dir etwas anderes zeigen.» Er fuhr von der Straße ab und dann auf die klumpige, schwarze Erde, auf der man vor Kurzem die Maisstauden verbrannt hatte. Im Herbst sagten wir Kinder immer, dass die Erde männlich sei, so wie im Rumänischen, denn ihr wuchsen Bartstoppeln.
    Wir blieben vor einer riesigen Mulde stehen, die fast vollständig mit Gestrüpp überwachsen war und wie eine alte, schlecht verheilte Narbe aussah. Als ob man dort in den Eingeweiden der Erde herumgewühlt hatte. Solche Vertiefungen gab es an allen vier Ecken des Dorfes, sagte Großvater. Sie stammten aus der Zeit, als man hier in aller Eile und aus purer Not im nicht enden wollenden Regendes Frühjahrs 1772 zweihundert Häuser hochgezogen hatte.
    Die Nachzügler aus Lothringen hatten in Mercydorf, einem der wenigen schon bestehenden Dörfer, provisorisch Platz gefunden. Lange hatten sie zusammengepfercht gelebt und auf Hilfe aus Temeschwar gehofft, und als diese nicht kam, waren viele weitergezogen. Nach einem klirrend kalten Winter kam ein milder, regnerischer Frühling, wenn man nicht bald handelte, würde man nichts mehr anbauen können und weiter hungern müssen. Frederick Obertin hatte gesagt: «Wir bauen unser Dorf selber, wenn es sein muss, mit bloßen Händen.» Dann war er nach Temeschwar geritten, um bei der Administration vorzusprechen.
    «Hat es ihn wirklich gegeben?», fragte ich Großvater.
    Er schaute mich verärgert an: «Wie kannst du daran zweifeln? Das ist keine Geschichte aus Raminas Mund. Das steht in unserer Dorfchronik. Und wenn du willst, erzähle ich es dir einmal genauer.» Danach kehrten wir ins Dorf zurück.
    Vater hatte Raminas Haus schnell abreißen wollen, als ob er ihre letzten Spuren auslöschen wollte, die ihn an das zweifelhafte Geschäft erinnerten, das er eingegangen war. Doch Sarelo hatte sich gewehrt, das einzige Mal, dass er es tat. Er flehte Vater an, alles so zu lassen, wie es war, denn vielleicht würde sie doch noch zurückkommen.
    In der ersten Zeit schnitt Sarelo allen unseren Hühnern den Kopf ab. Wir fanden sie morgens ausgeblutet im Hof, und von ihm fehlte jede Spur. Er trieb sich mit anderen Kindern oder auf dem Dorfmarkt herum. Mutter stellte eine

Weitere Kostenlose Bücher