Jacob beschließt zu lieben - Roman
türmten, als ob sie Gott erreichen sollten. Hinter der Wand aus Zucker, Sahne und Schokolade sah ich Großvater, der in seinem besten Anzug am einzigen Tisch saß.
Es war kurz vor Ladenschluss, und kein anderer Kunde betrat das Geschäft. Neben ihm saß Frau Österreicher, eine mollige, freundliche Frau. Wenn sie sich unbeobachtetfühlte, pflegte sie immer in den Spiegel zu schauen und an ihren Haaren zu zupfen. Sie schwebten wie eine Wolke von undefinierbarer Farbe um ihren Kopf. Wie alle Frauen in der Gegend ließ sie ihre Haare bei
Metzel
frisieren. Was alle Geschäfte des Viertels einte, waren die schwungvollen, verzierten Schilder, die über den Türen der Läden hingen. Sie wurden alle von der Werkstatt
Berger
gleich ums Eck hergestellt.
Großvater war ausgelassen, ich sah, dass er lachte, was sie besprachen, schien ihm großen Spaß zu machen. Frau Österreicher trug noch immer ihre Schürze, richtete gelegentlich ihre Frisur, dann legte sie die Hand auf den Tisch. Großvater beugte sich nach vorn und legte seine Hand auf ihre, und es schien ihr nicht zu missfallen. Sie zog sie nicht zurück, und sie führten so ihr Gespräch weiter.
Ich wich erstaunt zurück. Großvater sollte sein Geheimnis für sich behalten. Als er am Abend zurück war, räusperte er sich, und man sah ihm an, wie peinlich es ihm war. «Ich habe vergessen, wie spät es war», sagte er. «Du brauchst mich doch nicht von der Schule abzuholen, Großvater. Ich bin siebzehn. Tu, was du willst», antwortete ich, ohne den Kopf vom Buch zu heben. Beim Essen sah ich, dass er seine Fingernägel gereinigt hatte. Unvermittelt fragte er mich: «Was hältst du von der Österreicher?» Ohne meine Antwort abzuwarten, fuhr er fort: «Eine lustige Witwe ist sie.»
Großvaters Bekanntschaft mit der Bäckerin hatte angenehme Folgen. Als ich einmal an ihrem Laden vorbeiging, kam sie heraus und rief nach mir: «Du bist doch der Enkel von Herrn Obertin, nicht wahr?» Sie kehrte hinter die Theke zurück, legte einige Bosambos auf eine Serviette und brachte sie mir. «Mach mal den Mund auf!», befahlsie mir, und als ich ihrer Aufforderung folgte, schob sie mir eine Süßigkeit zwischen die Lippen. Ich wollte nach Münzen fischen, aber sie unterbrach mich. «Das ist umsonst, mein Lieber. Mit oder ohne dein Geld geht hier sowieso bald alles vor die Hunde.» Ich verstand nicht, wie sie das meinte.
Als ich einmal von ihr so beschenkt worden und damit beschäftigt war, die Tüte mit Bosambos in die Tasche zu stecken, stand plötzlich Katica vor mir. Sie war mit einigen Stoffballen beladen. In den Monaten seit unserem letzten Aufeinandertreffen hatte sie sich verändert. Oder ich. Oder etwas. Mit ihren lebhaften Augen musterte sie mich. «Wie lange bist du schon in der Stadt?», fragte ich.
«Seit einigen Wochen.»
«Bei Madame Liebmann?»
Sie nickte.
«Man erzählt sich, dass die Judengeschäfte bald geschlossen werden», fuhr ich fort.
«Die Madame hat viel zu viele wichtige Kunden», meinte sie. Weil ich nicht weiterwusste, trat ich unschlüssig von einem Bein aufs andere, bis ich mich an die Bosambos erinnerte. Ich griff nach der Tüte und wollte sie ihr überreichen, aber ihre Arme waren schon mit den Stoffen beladen.
«Gib sie her», sagte ich und nahm ihr die Last ab, während die Bosambos den Besitzer wechselten. Ich begleitete sie bis unter das Schild von Madame Liebmanns Nähatelier, dort nahm sie wieder alles an sich. «Mit diesem Kleid siehst du wie ein Mädchen aus der Stadt aus», sagte ich.
«Wenn man zu Kunden nach Hause geht, muss man so etwas tragen.»
Ich überlegte, was ich noch sagen könnte, dann fielen mir die Sachen ein, die sie mir gegeben hatte, als Großvater und ich das Dorf verließen.
«Die Hose sitzt wie angegossen.»
«Kneift sie nicht?», fragte sie.
«Nein. Überhaupt nicht! Bis morgen dann?»
Sie antwortete wie selbstverständlich: «Wenn du an der Straße ein paarmal auf und ab gehst, sehe ich dich von meinem Fenster aus.» Dann verschwand sie im Innenhof, der Madame Liebmanns Nähatelier beherbergte. So begann meine Zeit mit Katica.
Wir trafen uns vor dem Hofeingang zur Schneiderei und spazierten den Begakanal entlang. Man konnte sich im Frieden wähnen und nicht im Krieg. Die Sommergärten waren gut besucht, es wurden Wein aus Bakowia und Bier getrunken, das in einer Fabrik am Stadtrand gebraut wurde.
An regnerischen Tagen suchten wir
Mosis Kino
auf, in dem nicht mehr amerikanische, sondern deutsche Filme gezeigt
Weitere Kostenlose Bücher