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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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wurden. Mosi besaß als Einziger in der Stadt einen Rolls-Royce. Er kannte die Länge der Filme und tauchte genau in der Pause mit seinem Wagen auf, wenn wir alle auf der Straße standen. Von Weitem, noch bevor er ums Eck gebogen war, hupte er und erschreckte die wenigen Pferde, die ihre Karren durch die Hitze zogen. Kurz vor der versammelten Menge gab er Gas, um dann umso effektvoller direkt vor uns bremsen zu können. Das Auto blitzte wie das Gold im Mund der Zigeuner.
    Wenn er dann in seinem makellosen, weißen Anzug ausstieg, war er immer eine Sensation. Manche ließen den zweiten Teil aus, nur um das Wunderwerk zu begutachten. Einer wollte einmal wissen, wieso es ein Rolls-Roycesein müsse und nicht etwas Deutsches. Denn Mosis Filmgeschmack war eindeutig deutsch, aber sein Autogeschmack englisch. «Der Film ist etwas für die Seele, der Wagen aber fürs Auge», erwiderte er. Wir haben nie verstanden, warum seine Seele deutsch, sein Auge aber englisch sein musste.
    Weil er Angst hatte, sich zu beschmutzen, durfte niemand Mosi anfassen. Einmal breitete er ein Taschentuch auf dem Boden aus, kniete nieder und atmete die Abgase seines Autos ein. Er hustete, klopfte seine Kleider ab und sagte mit dramatischem Tonfall: «So riecht die Zukunft, meine Lieben.»
    Katica und ich berührten uns nie, weder im Kinosaal, wo es alle taten, noch auf unseren Spaziergängen durch die Parks des Begaufers, wo alle anderen die späteren Berührungen vorbereiteten. Es war nicht nötig, denn alles war ein ruhiger Fluss, der uns sanft mit sich trug und uns nach einigen Stunden wieder ans Land spülte.
    Anschließend begleitete ich sie zu ihrem kleinen, feuchten Zimmer über dem Nähatelier, das ihr die Madame zur Verfügung gestellt hatte. Doch die Tage, die wir auf den Straßen, im Park, am Kanal verbringen konnten, waren gezählt. Die ersten Herbststürme waren schon über das Land gezogen und hatten in Triebswetter großen Schaden angerichtet, wie uns Woche für Woche Sarelo berichtete. Manchmal hatten der Regen und der Wind die Stadt tagelang im Griff, und man musste Pferde holen, um im Schlamm steckende Wagen herauszuziehen.
    Großvater ließ mich gewähren, aber er beobachtete argwöhnisch meine neu entdeckte Heiterkeit. «Ist sie wenigstens Schwäbin?», fragte er eines Tages. «Du kannst es doch vor mir nicht verbergen.»
    «Es ist das Serbenmädchen, Großvater. Unsere Katica.»
    Er schwieg sich lange dazu aus, aber irgendwann rief er mich zu sich. «Bring sie nach Hause. Das ist kein Wetter, um sich draußen herumzutreiben. Ihr könnt auch hier …» Er überlegte kurz. « … lesen oder was auch immer. Sonst wirst du noch krank.»
    Doch ich wusste, dass das nicht der einzige Grund war, warum er uns bei sich haben wollte. Mit einem Ohr hörte er die schlechten Nachrichten aus Russland, mit dem anderen aber horchte er Katica und mich aus. Er tauchte unvermittelt in meinem Zimmer auf und gab vor, etwas zu suchen. Etwas, das ihm bald nicht mehr einfiel. Katica nähte meistens auf dem Bett, das eine Bein hatte sie angewinkelt, das andere hing locker hinunter, ihre Wade und ihr Knöchel irritierten mich immer wieder beim Lesen.
    Wenn ich las, spürte ich manchmal ihre Blicke auf mir, aber worauf ein Mädchen am liebsten schaute, wusste ich nicht. Zwischen den plötzlichen Besuchen Großvaters, dem Nähen und dem Lesen, dem Schauen und dem absichtlichen Wegschauen, das fast so intensiv war wie das Schauen, verstrich die Zeit.
    Am späten Nachmittag wurde Großvater immer unruhig. Er ging wie in einem Käfig, zu dem er keinen Schlüssel hatte, umher. Es war die Zeit, die er am meisten herbeisehnte, denn er hatte sie immer bei der Österreicher verbracht. Wenige Minuten nur, aber genug, um seine Hand auf ihre zu legen. Er ging zur Tür, trat vors Haus, dann kehrte er wieder zurück, bis ich einmal, an einem regnerischen Tag, zu ihm sagte:
    «Du kannst gehen, Großvater. Mach dir keine Sorgen.»
    Er fragte nicht, woher ich wusste, dass er irgendwohin wollte, er flüsterte nur: «Du machst ihr doch keinenBauch, nicht wahr?» Er zeigte mit dem Kopf auf mein Zimmer.
    «Keinen Bauch, Großvater. Geh jetzt.»
    Er zog die Stiefel und den Regenmantel an, drückte sich den Hut tief ins Gesicht und verschwand. Ich ließ mir viel Zeit, bis ich zu Katica zurückkehrte. Als ich es endlich tat, hatte sie sich auf der Matratze zurückgelehnt und stützte sich auf die Ellbogen. Nun hingen beide Beine über den Bettrand. Die mickrige, unscheinbare

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