Jacob beschließt zu lieben - Roman
Katica hatte sich plötzlich in jemanden verwandelt, der mein Zimmer, mein Bett und meine Gedanken besetzte, und es gab kein Entrinnen.
«Was liest du da?», fragte sie und richtete sich auf, als sie sah, dass ich wieder mein Buch hervorgeholt hatte.
«Eine Geschichte, die in Amerika spielt, am Mississippi.»
Sie spreizte die Zehen, und da waren sie wieder, ihre Waden. «Was ist das?»
«Ein Fluss, der größer und breiter ist als unsere Donau.» Ihr Bauch, den ich ihr nicht machen durfte, hob und senkte sich und mit ihm auch alles, was sich darüber befand. Dieses sanfte Schwingen erschütterte mich mehr als ein Erdbeben.
Ich verließ meinen Posten, um das Licht einzuschalten, als die Haustür aufgerissen wurde und wir Großvater fluchen hörten, Rumänenflüche, wie er sie noch nie von sich gegeben hatte. Ich dachte, dass es etwas mit Katicas Bauch zu tun hatte, und wollte mich schon verteidigen, aber ich täuschte mich.
«Verflucht noch mal, die Bäckerei ist zu. Ich gehe mehrere Tage nicht hin, und dann ist sie zu. Ausgeräumt und zugesperrt.» Er warf Stiefel und Mantel in eine Ecke. «Essind überall Bretter vor den Schaufenstern, und niemand weiß, wo sie geblieben ist.»
«War sie Jüdin?», fragte Katica.
«Natürlich war sie das», erwiderte Großvater.
«Mit einem solchen Namen?», mischte ich mich ein.
«Junge, du kannst mit jedem Namen Jude sein.» Er schüttelte den Kopf. «Es ist nur noch eine Torte da, die vergammelt.»
Er fluchte, bis er nicht mehr fluchen konnte, danach schwieg er tagelang und weigerte sich, das Haus zu verlassen. Es dauerte Wochen, bis jene Geschichte, wenn nicht vergessen, so doch endgültig abgelegt zu sein schien. Er sprach nie wieder darüber, und sosehr er sich auch bemühte, Frau Österreicher ausfindig zu machen, etwas über ihr Schicksal zu erfahren, so wenig gelang es ihm. Also gab er sie Stück für Stück auf.
Anfang 1944 fror der Kanal zu, auf einige schneereiche Tage folgten mehrere frostige Wochen. Manche Stellen waren so dick, dass man mit dem Pferdewagen darüberfahren konnte, andere wiederum waren trügerisch und zur Falle für Übermutige geworden. Katica ging inzwischen bei uns ein und aus, und Großvater hatte wieder die Gewohnheit angenommen, uns nie ganz allein zu lassen.
Sosehr ich mir das wünschte, so sehr war ich ihm auch dankbar. Denn ohne ihn hätten mich ihre Zehen und Waden und ihr Bauch belagert. Katica aß auch häufig mit uns zusammen, und Großvater gab ihr die Essensreste mit und noch etwas dazu. «Trotzdem, Jacob», murmelte er, nachdem ich sie nach Hause gebracht hatte, «sie ist Serbin und du Schwabe. Vergiss das nicht.»
Keiner von uns bemerkte Vaters Ankunft an jenemstrahlend blauen Februartag. Er war mit dem Automobil gekommen und hatte alles darin verstaut, was uns normalerweise Sarelo brachte. Es war nicht mehr viel, denn der Krieg, hungrig auch er, hinterließ in Triebswetter nur leere Speicher und Ställe. Die rumänischen Soldaten holten von den Bauern, was diese vor ihnen nicht rechtzeitig hatten verstecken können.
Vater klopfte sich vor der Tür die Stiefel ab und trat ein. Katica und ich waren in meinem Zimmer.
«Was sagt das Radio, Großvater?», hörten wir ihn in der Stube fragen. «Verlieren wir den Krieg? Ich höre mir zu Hause nur noch die Platten deiner Tochter an, weil ich alles andere nicht mehr ertrage. Hast du keinen Schnaps mehr im Haus? Ich muss mir mal die Knochen wärmen.»
Wir hörten, wie Großvater aufstand und in den Keller ging, dann kam er zurück und schenkte Vater stumm ein. «Wie sieht es in Triebswetter aus?», fragte er.
«Schlimm. Die Jungen haben die deutsche Uniform angezogen und sind an die Front gefahren. Die Alten weinen sich jetzt die Augen aus. Ich habe ihnen bei der letzten Versammlung gesagt: ‹Wenn ihr früher klüger gewesen wärt, dann müsstet ihr jetzt nicht weinen.› Auch der Neper ist mit, aber er ist inzwischen tot zurückgekommen. Ich habe ihm oft gesagt, dass er zu alt ist, aber er hat immer nur geantwortet, dass niemand zu alt sei für unsere Sache. Dann hat er seine Waffe geschultert und ist in den Zug gestiegen. Er wurde gleich in Serbien von einer Bombe zerfetzt. Wir haben ihn mit Glockengeläut über die Dorfgrenze gebracht, wie es sich gehört. Aber jetzt kommen wir zum eigentlichen Grund meines Besuchs. Wie macht sich denn der Junge in der Schule?»
«Er ist ein guter Schüler. Das Lernen fällt ihm leicht.»
«Besser so. Wo ist er? Ich habe eine Neuigkeit
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