Jaeger
bevor sie das Gespräch annahm. Mickey Philips. Sie spürte ein leichtes Flattern in der Magengegend, als sie das Telefon ans Ohr hob. Wahrscheinlich lag das auch am Alkohol.
»Guten Morgen, DS James.«
»Morgen, Mickey. Und seien Sie nicht so förmlich. Sagen Sie Jessie zu mir.«
Schweigen am anderen Ende. »Jessie … James?«
»Hm. Ich habe mich schon gefragt, wann bei Ihnen der Groschen fällt. Aber geben Sie sich keine Mühe, ich habe alle Witze zu dem Thema schon gehört. Und bevor Sie es sagen, die Polizei von Suffolk ist keine Cowboy-Truppe.«
Er lachte. Sein Lachen gefiel ihr. Deepak wandte sich ab.
»Wir sind gerade im Haus eines Mordopfers«, fuhr sie fort. Sie hatte sich rasch wieder gefangen. »Und haben uns gefragt, ob eventuell ein Zusammenhang mit den Ereignissen von gestern bestehen könnte.«
»Und? Besteht ein Zusammenhang?«
»Das wissen wir noch nicht.« Sie erzählte ihm von der möglichen Verbindung.
»Einen Zufall sollte man nie ignorieren«, meinte Mickey, »wie mein Boss immer zu sagen pflegt.«
»Dann sind Ihr Boss und ich derselben Meinung. Wie geht es ihm?«
»Er ist noch bewusstlos, aber es sieht wohl ganz gut aus.«
»Dann heißt es also weiter Daumen drücken.«
»Ja. Ich habe Neuigkeiten für Sie.« Er berichtete ihr von Marina.
»Also«, sagte Jessie, nachdem er geendet hatte. »Dann können wir sie als Hibberts Mörderin ja wohl ausschließen.«
Mickey lachte nicht. Jessie war sich auch nicht ganz sicher, ob sie die Bemerkung als Scherz gemeint hatte.
»Okay. Dann sage ich Ihnen kurz, was hier bei uns momentan so läuft«, fuhr sie fort. »Wir ermitteln im Mordfall Jeff Hibbert. Wir werden nach dem Mann suchen, der sich Stuart Milton genannt hat – wer weiß, vielleicht finden wir ihn ja. Außerdem jagen wir den Namen durch den Computer, mal schauen, was dabei rauskommt. Wir haben ein Team auf das verschwundene Mädchen angesetzt, außerdem versuchen wir, den Halter des Fahrzeugs zu ermitteln, das zum Zeitpunkt der Explosion vor dem Cottage stand. Wir gehen von Tür zu Tür, das volle Programm.«
»Ausgezeichnet. Ich suche dann inzwischen weiter nach Marina.«
»Bleiben Sie in Kontakt.«
Sie legte auf. Deepak sah sie an.
»Was ist?«
»Nichts, Ma’am.«
Sie wusste genau, was er dachte. Er hatte wieder diesen missbilligenden Gesichtsausdruck. Sie ignorierte ihn. Es hatte sie gefreut, Mickeys Stimme zu hören. Er war ein netter Typ. Doch auch diesen Gedanken schob sie beiseite. Sie musste arbeiten.
Einen Mörder finden.
30 Der Golem hatte sich in ein anderes Zimmer zurückgezogen. Er hielt sich nach wie vor im Haus auf und wartete auf Anweisungen, bis auf weiteres hatte er die Zeit jedoch zur freien Verfügung.
Dies war etwas, das er jeden Tag tun musste: allein sein, um zu meditieren. Neue Kraft zu schöpfen. Kontakt zu seinem früheren Selbst aufzunehmen, sich mit ihm auszusöhnen und auf diese Weise den Weg zu erkennen, der vor ihm lag. Seine Auftraggeber wussten Bescheid. Sie verstanden und respektierten seine Bedürfnisse und nahmen bei ihren Planungen Rücksicht darauf. Die Arbeit, die er leistete, war sehr spezieller Natur, und er musste sie auf seine eigene Weise tun.
Aber es gab auch noch einen anderen Grund, weshalb er allein sein wollte. Er brauchte Ruhe vor den Sloanes. Insbesondere vor Dee Sloane. Schon wieder musste er an ihre blutbefleckten Zähne denken, an ihren geschmeidigen Körper. An ihr Bedürfnis, unterworfen und erniedrigt zu werden, und an ihren Wunsch, er möge derjenige sein, der sie unterwarf und erniedrigte. Er hätte ihr diesen Wunsch leicht erfüllen können. Es hätte ihm sogar Freude bereitet.
Aber er war im Dienst.
Er zog die Tür hinter sich zu. Sie fiel beruhigend schwer ins Schloss. Er war allein. Er stellte sich in der Mitte des Raumes auf. Verlangsamte seine Atmung. Sah sich um.
Das Zimmer war nahezu leer. Ein Gästezimmer, das nie möbliert worden war. Trotz ihres Reichtums hatten die Sloanes in ihrem Leben nicht viel unnützen Ballast angehäuft. Der Golem schloss daraus, dass sie im Hier und Jetzt lebten und sich nicht von der Vergangenheit vereinnahmen ließen. Eine Einstellung, die er guthieß.
Er ließ die Jalousien herunter, damit keine Sonne mehr ins Zimmer drang, zog T-Shirt und Stiefel aus und setzte sich mit geradem Rücken im Schneidersitz auf den Fußboden. Er atmete langsam durch die Nase ein, blendete alle Gerüche aus, konzentrierte sich ausschließlich auf die klare, reine Luft. Dann
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