Jaeger
anzufassen, auf genau demselben Weg aus dem Haus gegangen, wie sie zuvor hineingekommen war. Sie wollte den Tatort nicht verunreinigen. Dann hatte sie im Vorgarten gewartet.
Mittlerweile hatten der Rechtsmediziner und die Spurensicherung ihre erste Untersuchung abgeschlossen und den Tatort für Jessie und Deepak freigegeben. Die beiden standen im Schlafzimmer, dessen düstere, beklemmende Atmosphäre durch die zugezogenen Vorhänge noch verstärkt wurde.
Jessies Kopf fühlte sich auch ein wenig an wie eine Bowlingkugel auf einem Besenstiel. Sich zwei Tage hintereinander zu betrinken war keine gute Idee, aber irgendwie schaffte sie nie rechtzeitig den Absprung. Bloß ein schneller Drink mit einer Freundin, das war alles – zumindest hatte sie das vorgehabt. Aber dann waren es wieder mal mehr geworden, und als sie schließlich nach Hause gekommen war, hatte es nicht gerade einen herzlichen Empfang gegeben. Sie rieb sich stöhnend die Augen und schob die Sache in den hintersten Winkel ihres Gedächtnisses. Damit würde sie sich irgendwann später auseinandersetzen. Vorerst hatte sie Dringenderes zu erledigen.
»Einfach grauenhaft, hier leben zu müssen«, ließ Deepak nach einem Blick durchs Zimmer verlauten.
»Und sterben«, ergänzte Jessie, wandte sich von der Leiche ab und sah sich um. »Was ja wohl eher zutrifft. Lungenkrebs, wenn Sie mich fragen.« Sie deutete auf den Sauerstofftank neben dem Bett. »Er sah ziemlich krank aus, als ich gestern bei ihm war. Ich dachte, ich befrage ihn besser so schnell wie möglich ein zweites Mal.«
Deepak runzelte die Stirn. »Warum eigentlich?«
Sie berichtete ihm von Stuart Milton und der von ihm angegebenen Adresse. »Ich hatte da so ein Gefühl, dass Hibbert mehr weiß, als er mir gegenüber zugibt.« Erneut betrachtete sie das Bett. »Tja. Jetzt werden wir es nie erfahren.«
Mit einem Nicken wies Deepak in Richtung der Kriminaltechniker. »Es sei denn, sie können uns mehr sagen.«
»Stimmt.«
Als Jessie abermals den Blick durchs Zimmer schweifen ließ, fielen ihr im Staub auf dem Sideboard zwei kreisrunde Abdrücke auf. Sie sah auf den Boden. Dort lagen zwei unsagbar hässliche Porzellanfiguren. Bei einer war der Kopf abgebrochen. Vermutlich waren sie beim Gerangel heruntergestoßen worden. Sie ging neben den Figuren in die Hocke und schaute unters Bett. Sah dort etwas …
Sie legte sich hin, bis sie mit der Nase fast den Teppich berührte. Sie konnte den Schmutz in den Fasern riechen. Wahrscheinlich war hier nur sehr selten saubergemacht worden.
»Mann, das stinkt vielleicht hier unten …«
»Ich denke nicht, dass Hausputz sehr weit oben auf seiner Prioritätenliste stand, Ma’am«, versetzte Deepak, der ihr Tun neugierig verfolgte.
Jessie zückte ihr Handy, schaltete die Taschenlampenfunktion ein und leuchtete den Teppich unter dem Bett ab. Den Müll und die Staubflusen ignorierte sie, so gut sie konnte.
»Aha …«
Das Zimmer drehte sich ein wenig, als sie sich aufsetzte. Die Nachwirkungen des Alkohols von letzter Nacht. »Da ist ein rechteckiger Abdruck, da muss irgendwas gelegen haben.«
Deepak ließ sich neben ihr auf die Knie nieder.
»Was meinen Sie?«
Er hob die Schultern. »Vielleicht ein Laptop? Eine alte Familienbibel?«
Jessie nickte. »Anscheinend – und ich denke nicht, dass wir voreilige Schlüsse ziehen, wenn wir feststellen, dass jemand ins Haus eingedrungen ist und versucht hat, den Laptop zu stehlen. Es kam zum Kampf …«, sie deutete auf die am Boden liegenden Porzellanfiguren, »und am Ende hatte der arme, alte Mr Hibbert ein gebrochenes Genick.«
»Dann hat der Einbrecher die Leiche sorgfältig hingelegt, damit wir glauben, Hibbert sei friedlich im Bett gestorben«, schloss Deepak.
»Exakt.« Sie nickte. Betrachtete erneut nachdenklich die Leiche. »Oder aber …«
Deepak wartete.
»Es diente nicht nur zur Verschleierung. Dieses Herrichten der Leiche – kein gewöhnlicher Einbrecher macht so was. Es erweckt fast den Eindruck, als habe der Täter gewollt, dass Hibbert …«
»In Frieden ruhen kann«, beendete Deepak den Satz für sie.
»Genau. Also … warum? Sind das alles bloß Zufälle? Stuart Milton, das Feuer gestern, das verschwundene Mädchen, jemand, der sich das Haus eines Sterbenden für einen Einbruch aussucht?«
»Wir glauben nicht an Zufälle, Ma’am.«
»In der Tat, Deepak, das tun wir nicht. Allerdings –« Sie wurde vom Klingeln ihres Handys unterbrochen. Sie warf einen Blick aufs Display,
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