Jaeger
nickte das Zimmermädchen. Es hatte verstanden.
Marina glaubte, etwas in den Augen der jungen Frau aufflackern zu sehen. Als hätte sie schon einmal ähnliche Erfahrungen gemacht. Ihr kamen Schuldgefühle, trotzdem lächelte sie.
»Danke«, flüsterte sie.
Das Zimmermädchen sagte nichts, schenkte ihr aber ein scheues Lächeln.
Zwischenzeitlich waren die Schritte und Stimmen wieder leiser geworden.
Marina drückte langsam die Klinke hinunter und riskierte einen vorsichtigen Blick in den Flur. Sie nickte dem Zimmermädchen noch einmal zum Dank zu, dann trat sie aus der Kammer, eilte zum Treppenhauseingang und zog die Doppeltüren auf. Zunächst nahm sie zwei Stufen auf einmal, bis sie um ein Haar gestolpert wäre. Sie blieb einen Augenblick lang stehen, um sich zu sammeln. Dann ging sie weiter, so schnell sie konnte.
Im Erdgeschoss angekommen, öffnete sie mit angehaltenem Atem vorsichtig die Doppeltüren und spähte hinaus.
Niemand da.
Sie trat in die Lobby, holte tief Luft und nahm Kurs auf den Ausgang.
Als sie am Empfang vorbeikam, wandte sie ihr Gesicht ab. Die Rezeptionistin hatte den Kopf gesenkt, doch Marina merkte, wie sie hochschaute, als sie an ihr vorüberging.
»Ach.« Die Frau klang verdutzt. »Oh. Die Polizei … Es ist jemand hier, der Sie sprechen möchte.«
Marina ging weiter.
»Entschuldigung …«
»Ich muss bloß schnell zum Wagen«, rief Marina ihr über die Schulter zu. »Bin in einer Sekunde wieder da.«
Die Tür öffnete sich. Marina war draußen an der frischen Luft.
Sie hörte, wie die Rezeptionistin ihr etwas hinterherrief. Wahrscheinlich überlegte sie, was sie jetzt tun sollte – ihr nachlaufen oder losgehen und die Polizisten suchen.
Egal, wofür sie sich entschied – Marina durfte es nicht so weit kommen lassen.
Sie rannte über den Parkplatz zu ihrem Wagen, stieg schnell ein und verriegelte von innen die Türen. Sie vergewisserte sich, dass das Handy in ihrer Handtasche steckte, dann ließ sie den Motor an. Die Koordinaten konnte sie ins Navi eingeben, sobald sie außer Sichtweite des Hotels war. Sie gab Gas.
Als sie am Hoteleingang vorbeifuhr, standen dort die zwei Uniformierten zusammen mit der Rezeptionistin. Einer der beiden, der Mann, stellte sich ihrem Wagen in den Weg und winkte mit beiden Armen, um sie aufzuhalten.
Marina beschleunigte.
Er sprang aus dem Weg.
Sie schaffte es bis zur Ausfahrt und brauste davon.
Sie durfte jetzt keinen Gedanken an die beiden verschwenden oder daran, was sie gerade getan hatte. Sie musste sich ganz auf ihr Ziel konzentrieren.
29 »Mir kommt es so vor, als wären wir in einem Bestattungsinstitut und würden jemandem die letzte Ehre erweisen«, meinte DS Jessica James. »Fehlt nur noch, dass jemand Orgel spielt.«
Der Tote lag rücklings auf dem Bett, die Arme dicht am Körper, die Beine lang ausgestreckt, den Kopf zurückgelegt, die Augen geschlossen. Sie beugte sich vor und betrachtete ihn eingehender. Vor allem Kopf und Nacken. Dann richtete sie sich wieder auf und wandte sich an den neben ihr stehenden DC Deepak Shah. »Was meinen Sie? Überzeugt Sie das?«
Er schüttelte den Kopf. »Genauso wenig wie Sie, Ma’am.«
Sie nickte. »Wenn er aufrecht stünde, würde ihm der Kopf ungefähr so fest auf dem Hals sitzen wie eine Bowlingkugel auf einem Besenstiel.«
Es war der zweite Tag ihrer Ermittlungen, und bislang gab es noch keine nennenswerten Fortschritte zu verzeichnen. Niemand hatte ein Kind gesehen, auf das Josephinas Beschreibung passte, weder allein noch in Begleitung eines Erwachsenen. Trotzdem ließen sie nichts unversucht. Uniformierte befragten weiterhin die Anwohner, und ihr Team durchkämmte die nähere Umgebung.
Da sonst nichts anlag, war Jessie ein zweites Mal zu Jeff Hibbert gefahren, um ihm noch einige Fragen zu stellen. Da auf ihr Klingeln niemand reagiert hatte und sie es für unwahrscheinlich hielt, dass er ausgegangen war, hatte sie einen Rundgang ums Haus gemacht und dabei die aufgebrochene Hintertür entdeckt. Der Türrahmen war zersplittert, die Tür stand offen.
Sie war ins Haus gelaufen und hatte seinen Namen gerufen. Als keine Antwort gekommen war, hatte sie sich, das Schlimmste befürchtend, auf den Weg in den ersten Stock gemacht. Dort hatte sie ihn dann gefunden. Auf dem Bett liegend. Ganz friedlich.
Sie hatte sich nicht eine Sekunde lang davon täuschen lassen.
Und die Spurensicherung auch nicht. Jessie hatte sofort Verstärkung angefordert und war, vorsichtig und ohne etwas
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