Jaeger
Josephina gegeben hatten. Phil, der die Jagd nach dem Mörder angeführt hatte, war es gelungen, die Spur bis nach Wrabness zu verfolgen. Er hatte sie gerettet. Er war zu ihr in das Labyrinth aus unterirdischen Tunneln hinabgekrochen, um den Wahnsinnigen aufzuhalten. Doch letztlich war es Marina gewesen, die seinem mörderischen Tun ein Ende bereitet und ihr ungeborenes Kind geschützt hatte. Sie war diejenige gewesen, die ihn getötet hatte.
Und genau in dem Augenblick war sie wiedergeboren worden.
Danach hatte sie gewusst, wer sie war. Wie viel sie ertragen konnte. Wozu sie bereit war, um die Menschen, die sie liebte, zu beschützen. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass die Stimme am Telefon darüber Bescheid wusste. Nun musste sie sich eingestehen, dass sie sie möglicherweise unterschätzt hatte.
Da war es wieder. Love Will Tear Us Apart.
Sie riss das Handy aus ihrer Handtasche.
»Sind Sie angekommen?«, fragte die Stimme. »Haben Sie es ohne Probleme gefunden?«
»Sie Schwein«, sagte sie.
Stille. Dann: »Was meinen Sie?« Der Tonfall war schroff, doch es schwang auch Neugier darin mit.
»Sie wissen genau, was ich meine. Sie haben mich absichtlich hierhergelotst.«
Wieder Schweigen. »Ich dachte, Sie würden sich an den Ort erinnern.«
»Natürlich erinnere ich mich daran!«
Ihr Gesprächspartner klang verwirrt, versuchte aber, ohne großen Erfolg, die Kontrolle über das Gespräch zu behalten. »Es … überrascht mich, ehrlich gesagt, dass der Ort so viel in Ihnen auslöst.«
Eine unbändige Wut stieg in Marina hoch. »Sie halten sich wohl für witzig, Sie Arschloch!«, spie sie.
»Sie sind in Wrabness.«
»Ich weiß , dass ich in Wrabness bin!«
»Sie kennen den Ort von früher.«
»Bravo, Einstein. Es stand ja auch nur in allen Zeitungen.«
Abermals Schweigen. Einen Moment lang fürchtete Marina, die Verbindung sei unterbrochen worden.
Doch dann meldete sich die Stimme zurück. »Jedenfalls … kriegen Sie gleich eine E-Mail. Darin steht, was Sie als Nächstes tun sollen.«
»Darum dreht es sich also bei der ganzen Sache? Sie wollten mich auf einen richtig unangenehmen Trip in die Vergangenheit mitnehmen?«
»Jetzt hören Sie mal zu …«
»Nein, jetzt hören Sie mal zu.« Marina konnte ihre Wut kaum noch zügeln. Sie hatte das Gefühl, platzen zu müssen. »Sie sprengen meine Familie in die Luft, Sie kidnappen meine Tochter und dann schicken Sie mich hierher. Ich bin im Laufe meiner Arbeit ja schon so manchem kranken Schwein begegnet, aber Sie …« Vor lauter Zorn versagte ihr die Stimme.
»Hören Sie.« Auch ihr Gegenüber wurde langsam wütend. Marina riss sich zusammen. »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie da reden. Ja, Sie haben eine Verbindung zu dem Ort. Deswegen ist unsere Wahl ja auch auf Sie gefallen. Deswegen wollten wir, dass Sie uns helfen. Aber …« Ein ungehaltener Seufzer. »Ach. Lesen Sie einfach die E-Mail.«
Dann wurde aufgelegt.
Marina starrte auf das Handy in ihrer zitternden Hand. Sie sah zum verfallenen Bauernhaus, dann hinüber zur bröckelnden Mauer und dem rostigen Wohnwagen dahinter. Dann zurück zur Flussmündung. Trostlos und gottverlassen. Sie erschauerte. Diesmal würde Phil nicht kommen und sie retten.
Sie spürte, wie sich etwas in ihr verhärtete. Es reicht , dachte sie. Es reicht . An diesem Ort hatte sich schon einmal gezeigt, wozu sie fähig war, wenn es darum ging, ihre Familie zu beschützen. Der erneute Besuch bestätigte dies nur. Wer auch immer die Person am anderen Ende der Leitung war, es war Zeit, sich ihr entgegenzustellen.
Kurz darauf vernahm sie den Benachrichtigungston des Handys. Sie öffnete die E-Mail und begann zu lesen.
Und ganz allmählich begriff sie.
32 »Jeff? Tot? Tja, das war wohl abzusehen. Er war schwerkrank.«
»Das war er, Mrs Hibbert.«
»Nennen Sie mich doch Helen. Ich habe es nie gemocht, wenn man Mrs Hibbert zu mir sagt. Das klingt immer so, als wäre ich seine Mutter.« Sie holte tief Luft und nahm einen Schluck von ihrem Wodka Tonic. »Und wenn es irgendjemanden gibt, mit dem ich nicht verglichen werden will, dann mit dieser Frau.« Helen Hibbert erschauerte bei dem bloßen Gedanken.
In der Tat konnte sich Jessica James Helen Hibbert beim besten Willen nicht als Mutter vorstellen. Sie hätte es garantiert nicht ertragen, wenn ein Kind ihr die Aufmerksamkeit streitig gemacht hätte.
Auf der Fahrt zur Wohnung von Jeff Hibberts getrennt lebender Ehefrau hatte Jessie ihrem Kollegen Deepak geschildert, wie
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