Jäger der Dämmerung
Gedanken bin. Spät in der Nacht, wenn du die Augen schließt, denkst du an mich, nicht wahr?«
Sie hatte, sehr lange. Aber nicht, weil sie ihn begehrte. »Du hast mich überfallen! Hast fast Ben umgebracht! Du hast mich terrorisiert, also, ja, verflucht, ich habe an dich gedacht!« Ihre Zähne schmerzten, als sie sich weiter aus dem Kiefer schoben und länger und schärfer denn je wurden. »Ich dachte daran, wie ich dich töte!«
»Ja, du kennst den Blutdurst genau wie ich.«
Ein gebrochenes Stöhnen klang durch die Dunkelheit.
Erin blickte nach links. Das war nicht ihre Mutter sondern Dee. Die Jägerin versuchte sich aufzurichten.
»Was kümmern die dich?«, fragte er, denn er war ihrem Blick gefolgt. »Sie sind es nicht wert, dass du Notiz von ihnen nimmst.«
Nein, er war es nicht wert!
Wieder streckte er die Hand nach ihr aus, die Krallen blutbeschmiert. »Komm mit mir, Erin, und ich lasse die Menschenfrau leben. Vorerst.«
Vorerst. Das bedeutete so viel wie, er käme später zurück und würde Dee in Fetzen reißen.
»Warum tust du das?«, flüsterte sie. »Warum all die Morde? Bobby Burrows …«
Seine Hand war schlagbereit erhoben, doch er antwortete ihr. Harper hatte sich schon immer gern reden gehört. Das war einer der vielen Gründe, weshalb sie die Verhandlungen bei ihm stets als quälend empfunden hatte. »Burrows ließ dich wie eine Närrin dastehen! Er entkam deiner Untersuchungshaft.«
Na ja, wohl eher der Untersuchungshaft der Polizei.
»Und er war wertloser Abschaum, eine Belastung für die Welt. Er musste beseitigt werden.«
»Das hast du nicht zu entscheiden! Du bestimmst nicht, wer lebt und wer stirbt! Du kannst nicht …«
Seine Hand sank herunter. »Ich habe fünfzehn Jahre meines Lebens damit verbracht, über Leben und Tod zu entscheiden. Ich weiß verdammt gut, was ich tue.«
Er erhob sich zum Gesetz und behauptete, für sie zu töten. »Du bist wahnsinnig«, flüsterte sie. Was wahrscheinlich nicht das Klügste war, das man zu einem irren Killer sagen konnte, aber das war doch sowieso schon egal!
»Wölfe im Rudel werden nicht wahnsinnig«, erwiderte er eiskalt.
Er ist seit fast dreißig Jahren in keinem Rudel mehr.
»Wölfe mit Gefährten, die außerhalb des Rudels leben, verlieren nicht den Verstand.«
Er hat keine Gefährtin. Begriff der Kerl eigentlich, worauf das hinauslief, was er sagte?
»Du bist meine Gefährtin. Seit ich dich fand, erscheint mir alles in meinem Leben kristallklar.« Seine Lippen wurden zu schmalen Linien. Er ging einen Schritt vorwärts.
Und stolperte.
Der Blutverlust. Endlich wirkte er.
Sie hatte gehofft, ihn weiter zum Reden zu bringen, seine Aufmerksamkeit zu fesseln – ja!
Harper rutschte auf seinem eigenen Blut aus und fiel hin – ziemlich übel.
»Erin!«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht deine Gefährtin, Arschloch, und selbst wenn ich es wäre, würde ich nicht einen Tag meines Lebens mit dir verbringen wollen.«
»Der Tiger …« Sein Kopf sank nach unten, und er erschauderte. »Ich hätte … ihn umbringen sollen … gleich.«
Nein. »Jude ist nicht unbedingt einfach zu töten.« Eine seiner besten Eigenschaften.
Harpers Krallen schabten über den Asphalt. »Ich sah doch … wie du … ihn angesehen hast … Er muss … sterben …«
»Nein, muss er nicht. Du wirst Jude gar nichts tun.«
Dann warf er seinen Kopf nach hinten, und sie sah sein Gesicht: eine irre Mischung aus Mensch und Tier. »Du bist mein!« , erklang sein kaum mehr menschliches Wutgeheul.
Die Wandlung ergriff seinen Körper, und er zuckte, krampfte beinahe.
Keine Wandlung. Nein! Er sollte zu schwach sein, um sich zu wandeln.
Knochen knackten, Fell spross aus seiner Haut.
»Nein!« Erin stürzte sich auf ihn, in der Hoffnung, die Wandlung zu stoppen, ehe es zu spät war. Bevor er zu stark ist. Denn wenn er sich wandelte, würde er heilen, und er könnte sie umbringen.
Aber es ging rasend schnell. Schneller als bei Jude. Schneller als sie es bei irgendeinem Gestaltwandler bisher gesehen hatte. Sowie sie auf ihn fiel, vergrub sie ihre Zähne möglichst tief in seine Seite, die inzwischen die Flanke eines Wolfs war. Sie schlug die Krallen in das dichte Fell und direkt in den Muskel.
Der Wolf heulte, und sein Kopf – lang, breite Schnauze, zu dunkle Augen – wandte sich zu ihr.
Das war gar nicht gut. Erin lief stolpernd rückwärts, und ihr brach kalter Schweiß aus.
Dann stand der Wolf auf. Seine Muskeln vibrierten, und Speichel tropfte von
Weitere Kostenlose Bücher