Jäger der Dämmerung
nehmen, was sein war.
Falls der Tiger ihm in die Quere kam, würde er den Idioten eben in Stücke schneiden. Es wäre nicht das erste Mal, dass er einen Rivalen tötete.
Nicht das erste und nicht das letzte Mal.
Neuntes Kapitel
»Du hast die Ausfahrt verpasst.« Es waren die ersten Worte, die sie sagte, seit sie die Tiefgarage verließen, und Erin glaubte, sie kämen ziemlich ruhig heraus.
Hat dir mein Geschenk gefallen?
Sie hatte es mit Ach und Krach geschafft, nicht die Nerven zu verlieren, als Jude ihr erzählte, was auf der Karte stand. Dabei hatte sie bereits geahnt, was es war.
Sie kannte die Vorgehensweise des Irren.
Nun sah sie zu Jude. Sein Kinn war angespannt, das eine Auge, das sie im Profil sah, verkniffen. »Jude?« Sie ballte die Fäuste, denn es war besser, ihn nicht zu berühren.
»Wir fahren nicht zu dir«, erklärte er, ohne den Blick von der Straße abzuwenden. »Der Dreckskerl war letzte Nacht bei dir zu Hause, und die Nacht davor war er im Haus. Süße, bei dir ist es nicht die Bohne sicher.«
Aber es war ihr Haus! Und sie brauchte dringend ein bisschen Geborgenheit, ein bisschen …
»Du verbringst die Nacht bei mir.«
Sie blinzelte.
Nun verlangsamte er den Wagen, um an der nächsten Ausfahrt abzubiegen. »Und bevor wir dort sind, fängst du an zu reden. Du erzählst mir alles, was ich über das Arschloch wissen muss.«
Er wird sich von mir abwenden, mich nie wieder anfassen.
Da wäre kein Verlangen mehr in seinem Blick, wenn er sie ansah. Es gäbe keine Berührungen mehr.
Erin streckte die Finger und presste sie auf ihre Oberschenkel. Mir bleibt keine Wahl. »I-ich glaube, dass er Burrows und Lee angriff, weil er … sie mir zum Geschenk machen wollte.« Ja, das klang krank und völlig durchgedreht – weil es das war.
Jude umklammerte das Lenkrad fester, sagte aber nichts.
»Er beobachtet mich. Das macht er schon länger.« Immerzu beobachten. »Wenn er jemanden sieht, von dem er glaubt, dass er mich verletzt oder mich nicht respektiert, greift er an.« Und im Fall Burrows ließ er ihr eine Leiche da, die sie finden sollte.
Denn das war die Art Geschenk, von der jedes Mädchen träumte. Welche Frau wollte schon Diamanten, wenn sie einen entstellten Toten haben konnte?
Nein, nicht einmal sie war so gebrochen.
»Da hast du dir ja einen entzückenden Märchenprinzen aufgegabelt.« Der Motor röhrte, als Jude die Abfahrt verließ und auf der langen, verlassenen Straße beschleunigte.
Was du nicht sagst! »In Lillian hat er einen Mann attackiert, mit dem ich ausging. Mein … Freund wurde angeschossen. Die Kugel verfehlte knapp sein Herz.« Ein Mensch. Er hatte wochenlang im Krankenhaus gelegen. Als er rauskam, hielt Erin sich weit fern von ihm.
Fernhalten, nun ja, so könnte man es wohl nennen, wenn jemand die Stadt verließ. Das Fiese daran war, dass sie ihn wirklich gemocht hatte. Aber sie musste weg, damit er in Sicherheit war.
In ihrer Welt hätte Ben nicht lange überlebt.
»Niemand außer mir. Du bist mein, Erin, mit Haut, Haaren und Bestie, ganz und gar mein.« Die Stimme, die im Dunkeln flüsterte, würde sie nie vergessen.
»Das erste Mal, das ich von dem Kerl hörte«, erzählte sie unsicher, »war, als er mir Rosen schickte. Ein Dutzend rote Rosen.«
Jude zuckte kaum merklich zusammen.
Rosen. Die gleichen wie heute auf Lees Stellplatz. Der Truck rauschte unter den Lichtkegeln der Straßenlaternen hindurch. »Früher mochte ich rote Rosen sehr.« Auch das hatte er ihr genommen. Sah sie heute rote Rosen, verkrampfte sich ihr ganzer Körper, und sie konnte nur noch an Blut und Tod denken. Sie schluckte und sah aus dem Fenster zu den verschwommenen Kiefern. »Sie kamen mit einer Karte, in der er mir schrieb, dass ich die Frau wäre, nach der er sein Leben lang gesucht hatte.«
Und sie hatte sich geschmeichelt gefühlt. War fasziniert und nervös gewesen. Lächelnd hatte sie sich im Büro umgesehen, wer ihr heimlicher Bewunderer sein mochte.
»Wenige Abende später wurde ich überfallen.« Ein heiseres Lachen entfuhr ihrer Kehle. »Ich hätte den Kerl schnappen können, denn er war noch ein Kind, nicht älter als fünfzehn, aber ich war mit Freunden unterwegs.«
»Menschlichen.«
Sie nickte, obwohl sie nicht sicher war, dass er es bemerkte, denn sie konnte noch nicht wieder zu ihm sehen. Seit sie zu ihrem Vater zog, hatte sie sich stets an Menschen gehalten. Sie hatten bisweilen Angst vor ihr, wenn sie nicht aufpasste, aber wenigstens warfen sie Erin nie
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