Jäger der Dämmerung
aufgestanden und hatte ihre Schuhe wieder angezogen. Ihre Lippen waren blass.
»Ich kann ein paar Befragungen übernehmen«, sagte sie mit einem halben Lächeln. »Und ich habe schon einiges gesehen, wie du weißt.«
Nein, hatte sie nicht. Nicht wie er.
Andererseits ließ er sie ungern allein im Motel, solange der Freak frei herumlief.
Freak, klar, und was bin ich?
Also gut. »Wenn Blut fließt, hältst du dich zurück, verstanden? Misch dich nicht ein und versuch nicht, mich aufzuhalten.«
Sie machte große Augen. »Was hast du vor?«
»Ich tue, was nötig ist.« Wie immer. »Es werden keine Unschuldigen verletzt. Bleib einfach auf Abstand, okay?« Versuch nicht, mich aufzuhalten.
Und habe bitte keine Angst vor mir.
Er würde die Grenze nicht überschreiten. Das hatte er seit Jahren nicht.
Denn das eine Mal, dass er die Kontrolle verlor, hatte das Tier in ihm schrecklich gewütet.
Der Mann war auf der Suche nach einer Nutte.
Erin saß neben Jude, die Lippen zusammengepresst, während er die Straße entlangfuhr, in der sie noch nie gewesen war.
Zwar hatte sie von dem Straßenstrich gewusst, doch was hätte sie hier gewollt, als sie noch in Lillian lebte?
»Äh … können wir den Plan nochmal durchgehen?« Denn die Faust in ihrem Bauch hielt ihn für eine schlechte Idee. Eine sehr schlechte.
Mit ihrem Liebhaber zusammen eine Nutte suchen, nein, das war eigentlich nicht Erins Ding.
Aber Jude schien ihr gar nicht zuzuhören. Sein Blick galt einer langhaarigen Blondine mit dem kürzesten Rock, den Erin jemals gesehen hatte, und Netzstrümpfen.
Netzstrümpfe? Erin hatte es immer für ein blödes Klischee gehalten, aber nein, die Frau trug sie tatsächlich.Die Blonde führte einen Mann mit schütterem Haar, der eben aus seinem Wagen gestiegen und zu ihr gelaufen war, in eine schmale Seitengasse.
Jude stieß die Autotür auf.
»Was hast du vor? Jude …«
»Sie nährt sich. Los geht’s.«
Nährt sich? Nannte man das wirklich so? Erin löste ihren Gurt und lief Jude nach. Ihre dämlichen Schuhe eigneten sich schlecht zum Laufen, aber sie schaffte es, mit Jude mitzuhalten, als er über die Straße und in die Gasse eilte, in der es nach Müll, Abwassern und anderem Ekligen stank.
Der Typ lag auf der Erde, sein Kopf zur Seite gewandt, und die Blonde war über ihn gebeugt, den Mund an seinem Hals, während ihre Finger vorne in seine Jeans tauchten.
Erin wandte sich ab. Das musste sie wahrlich nicht sehen. Anderen beim Vögeln zuzugucken, entsprach nicht ihrer Vorstellung von Spaß.
»Aha, den Idioten halbleer zu schlürfen, reicht dir nicht? Du raubst ihn auch noch aus?«
Nun sah Erin doch wieder zu dem Paar am Boden.
Die blonde Frau blickte auf und funkelte sie wütend an. War das Blut, was ihr übers Kinn rann?
Der Kerl am Boden stöhnte matt und flüsterte: »Hör … nicht … auf …«
»Verschwindet!«, kreischte die Frau, deren kaum verhüllte Brüste sich schnell hoben und senkten. Erin bemerkte, dass sie eine Brieftasche in der rechten Hand hatte. Ach so. Das war es, was sie in der Hose des Kerls gesucht hatte!
Jude machte einen Schritt vorwärts, worauf eine Ratte durch die Gasse davonhuschte.
Das ist echt nicht meine Gegend , dachte Erin, die ihre Füße leicht ausstellte und sich bemühte, nicht auszusehen, als wäre sie mitten in der Hölle.
Die Frau wischte sich über den Mund, was einen roten Schmierstreifen auf ihrem Kinn zur Folge hatte. »Falls du kein Cop bist, hast du hier nichts verloren!«
Ein tiefes, bedrohliches und unmenschliches Knurren drang aus Judes Kehle.
Erschrocken setzte sich die Frau auf. »W-w…«
»Nicht aufhören!«, schrie der Mann. Seine Augen waren offen, schienen jedoch ins Nichts zu starren. Erin war nicht einmal sicher, dass er etwas mitbekam.
Die Frau zog die Oberlippe hoch, und Erin sah ihre Zähne.
Reißzähne.
Eine Vampirin?
Wie eine Schlange kroch die Nutte über den Boden, musterte Jude und Erin und brachte ihre Beute zwischen sich und sie.
Ihre Augen. Wieso waren Erin die Augen der Frau nicht aufgefallen? Sie waren schwarz. Typisch für einen Vampir auf Beutezug.
Erin stieß einen stummen Schrei aus. In ihrem ganzen Leben hatte sie erst zwei Vampire gesehen – okay, jetzt drei. Und die beiden vorher hatten sich nicht eben angestrengt, ihr Herz für die Blutsauger zu erwärmen. Nicht mal lauwarm.
Der Erste fiel sie in einem Park an, als sie neu in New Orleans war. Gleich in ihrer ersten Woche in der Stadt. Erin hatte ihm die Nase
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