Jäger der Dämmerung
Zeig keine Schwäche vor ihr.
Zu spät. Ihre Mutter hatte die verräterische Geste bereits gesehen.
»Du hängst an ihr, was, Tiger?« Sie lächelte und schien zufrieden zu sein. »Ich hoffe, du bist ein Kämpfer.«
»Bin ich.«
»Schön.«
Sie musterte Erin. »Ist lange her, mein Kleines.«
Mein Kleines, von wegen! Das hier war nicht die Film-der-Woche-Versöhnung. »Was willst du?«
Ein Schulterzucken.
Rote Punkte tanzten vor Erins Augen. »Dann hau ab.«
Jude zog sie an seine Brust. »Ganz ruhig«, hauchte er ihr ins Ohr.
Aber sie wollte nicht ruhig bleiben. Sie wollte schreien, wüten, so wie vor Jahren.
Die gelben Augen blickten nach unten. »Ich habe nach dir gesucht«, sagte Theresa, die sich den Nacken rieb. »Du bist einfach verschwunden, und ich … habe mir Sorgen gemacht.«
Wie bitte? »Du bist vor Jahren abgehauen! Du wusstest, wo ich war.« Sie hatte sich nicht von der Stelle gerührt, bis ihr Vater starb. »So schwer war ich nicht zu finden.« Theresa war nie gekommen, um nach ihr zu sehen. Nicht ein Mal.
Den Blick immer noch auf den Boden gerichtet, sagte ihre Mutter: »Nicht damals. Ich … beobachtete euch. Aber ich musste auf Abstand bleiben, damit du meinen Duft nicht erkennst.«
Es könnte kaum fieser schmerzen, würde ihr jemand mit seinen Krallen das Herz herausreißen.
»Vor ein paar Monaten habe ich dich dann verloren.«
Was? Die ganze Zeit? All die verdammten Jahre war ihre Mutter in der Nähe gewesen und hatte nie versucht, Kontakt zu ihr aufzunehmen? Wieso?
Theresa schaute wieder auf. Zweifellos sah sie Erin an, welche Frage ihr auf der Zunge brannte. »Du passtest nicht in meine Welt.«
Als wüsste Erin das nicht!
»Und ich nicht in deine«, ergänzte Theresa achselzuckend, was diesmal irgendwie müde wirkte. Und traurig. »Aber ich wollte trotzdem sicher sein, dass mit dir alles okay war. Und ich musste dich einfach sehen.«
Erin schüttelte den Kopf. Sie war froh, dass Jude hinter ihr stand, stark und verlässlich, genau was sie jetzt brauchte. »Du hast mich weggeworfen«, flüsterte sie, obwohl sie es nie aussprechen wollte.
»Ich musste. Du konntest dich nicht verwandeln!«
Sie zuckte zusammen.
»Das Rudel hätte dich in Stücke gerissen, und du warst nicht annähernd stark genug, um mit dem fertigzuwerden, was sie dir angetan hätten. Ich tat, was ich tun musste, um dich zu schützen.«
Erin sah ihre Mutter entgeistert an. Sie sah die angespannten Züge, die ruhigen Hände und erwiderte schlicht: »Blödsinn.«
Theresa fiel die Kinnlade herunter.
»Du hast mich nicht vor Dads Haus abgestellt, weil du mich beschützen wolltest.« Nein, das kaufte sie ihr nicht ab. Jude umklammerte ihre Schultern fester. »Du hast es gemacht, weil du dich für mich schämtest.«
Ihr entging nicht, dass sich die Augen ihrer Mutter kaum merklich weiteten.
»Denkst du, ich wusste das nicht?«, fragte Erin, deren Bauch zu einem einzigen Knoten verkrampft war. »Denkst du, ich habe nie gemerkt, wie du mich ansahst?« Nicht wie eine stolze Mama, oh nein! Und dauernd schubste sie Erin in den Schatten, weg von den anderen.
»Du hättest wie ich sein müssen!«, entfuhr es ihrer Mutter zornig. »Du hättest dich verwandeln sollen und kämpfen, so wie ich!«
»Ich war eben nicht wie du«, konstatierte Erin traurig. »Ich war wie mein Dad.«
Theresa schüttelte ruckartig den Kopf. »Ich hätte mich mit dem Alpha paaren sollen! Er hat mich geliebt. Wir hätten zusammengehört, aber dann habe ich alles versaut und …«
»Und mich bekommen.«
Ihre Mutter schloss den Mund und nickte grimmig.
Wenigstens war sie ehrlich.
»Du hast mich bekommen, und du fandest, dass ich nicht gut genug für das Rudel war – oder für dich.« Das tat weh.
»Ich wollte mit ihm zusammensein«, murmelte ihre Mutter. »Ich habe ihn geliebt.«
Erin war klar, dass sie nicht ihren Vater meinte.
»Er sah mich«, sagte Theresa leise. »Diese dunklen Augen blickten direkt in mich hinein. Aber so hat er mich nie wieder angesehen, nachdem er von deinem Vater erfuhr.«
Und was? War das Erins Schuld? Die ihres Vaters? Erin verkniff sich eine bissige Bemerkung.
»Als ich schwanger wurde, wusste er, dass ich nicht seine Gefährtin war. Er wusste, dass irgendwo dort draußen eine andere Frau auf ihn wartete und es nur eine Frage der Zeit wäre, bis er sie fand.« Eine Träne rann über ihre Wange. »Ich verlor dich.«
Von einem schmerzlichen Verlust konnte wohl eher nicht die Rede sein, wenn man etwas
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