Jäger der Nacht (German Edition)
sich dazu, eine weitere Wand von Silentium einzureißen – über Gefühle zu reden war noch schwerer, als sie auszudrücken oder zu spüren. „Jeden Augenblick ist die Schuld an meiner Seite. Sie steht mit mir auf und legt sich mit mir hin. Ich bin eine V-Mediale, ich hätte das Leben meiner Schwester retten können. Ich habe versagt.“
„Du konntest doch nicht wissen, was du da gesehen hast“, stieß er mit zusammengebissenen Zähnen hervor.
„Es geht doch nicht um Logik, Vaughn! Das weißt du besser als jeder andere.“ Sie zwang ihn dazu, sich daran zu erinnern, wie schuldig er sich für Skyes Tod fühlte, obwohl er damals selbst nur ein Kind gewesen war.
Er legte ihr die Hand auf den Nacken. „Der Augenblick wird kommen, an dem ich nicht nachgeben und nicht vernünftig sein und auch nicht mehr menschlich handeln werde.“
Das hatte sie schon bei ihrer ersten Begegnung erkannt. „Aber wir sind noch nicht an diesem Punkt angelangt.“
„Ich will, dass du die ganze Zeit in meiner Nähe bleibst. Wenn irgendetwas schiefläuft, ziehst du dich sofort raus. Es ist mir egal, ob du sein Gehirn dafür zu Brei zerquetschen musst. Hau einfach ab!“
„Ich habe nicht die Absicht, ihn so nahe heranzulassen, dass er mir etwas tun kann. Ich werde nur ein flüchtiger Schatten sein.“
Die Katze rumorte beträchtlich in Vaughns Verstand, als sie mit den anderen die Einzelheiten besprachen. „Da ist noch etwas“, sagte er, nachdem sie einen groben Schlachtplan festgelegt hatten.
„Der Rat.“ Sascha beugte sich vor. „Inzwischen müssten sie mitbekommen haben, dass Faith abtrünnig geworden ist. Sie werden mit allen nur möglichen Mitteln nach ihr suchen. Sie ist eine V-Mediale und weiß viel zu viel.“
Das Tier in Vaughn wollte diese Bedrohung ausschalten und ein für alle Mal damit Schluss machen – Mediale mit zertrümmerten Schädeln konnten seiner Frau nichts mehr anhaben –, aber der Mann wusste, dass die Dinge nicht so einfach lagen. Der Rat bestand im Augenblick zwar nur aus sechs Köpfen, aber wenn man einen Kopf erledigte, würden zwei oder drei an seine Stelle treten. Man konnte ihn nur zerstören, indem man die Wurzel des Übels ausriss. Und nur die Medialen selbst konnten einen so tief gehenden Wandel einleiten.
Faith lehnte sich an ihn. „Es gibt vielleicht etwas, was ihnen die Hände bindet.“
Ihr warmer Körper beruhigte das Tier. „An was denkst du?“
„Es ist weniger ein Gedanke als eine Vorahnung.“ Ihre Stimme war plötzlich schwer vor Trauer. „Ich habe mich immer gefragt, warum Marine ermordet wurde. Morgen wird er aus irgendeiner kranken Erregung heraus töten, aber bei Marine war nichts davon zu spüren. Er hat ihr nicht über längere Zeit nachgestellt. Es wurde nur immer schlimmer – nahm mir den Atem, bis ich schließlich erstickte.“
Ihre Stärke weckte den Stolz in seinem Tier. Vaughn lehnte sich mit gespreizten Beinen gegen das Geländer und zog Faith an seine Brust. Sie beschwerte sich nicht und legte die Hände auf seine Knie.
„Könnte es ein Zufall gewesen sein, weil sich gerade die Gelegenheit bot?“ Beim Klang von Judd Laurens Stimme hätte der Jaguar gerne die Zähne gefletscht – er konnte diese feine Unterscheidung zwischen Feind und unsicherem Verbündeten nicht nachvollziehen.
„Nein, er schien weder in Eile noch unvorbereitet zu sein.“
Vaughn konnte den Schmerz in ihrer Stimme kaum ertragen, aber er wusste, dass nur Zeit diese Wunden heilen konnte. Sie würden auch nicht vollständig verschwinden, es würden Narben bleiben, aber das war in Ordnung, die Narben machten sie stark.
Sascha klopfte mit dem Fuß auf den Boden. „Was hat deine Schwester beruflich gemacht?“
„Sie war eine kardinale Telepathin. Spezialistin für die Telekommunikation im Clan.“
„Als ich noch im Medialnet war, gab es Gerüchte, dein Clan sei in geheime Geschäfte des Rats verwickelt.“
Faiths Fingernägel gruben sich in Vaughns Haut. „Wenn Marine dabei telepathiert hat, wusste sie natürlich, was gesendet oder empfangen wurde, kannte alle Geheimnisse, wusste von allen Plänen.“
„Eine Schwachstelle, wenn sie nicht mitspielen wollte.“ Schließlich war Marine die Schwester seiner Frau gewesen, und auch Faith war zu intelligent, zu unabhängig und zu menschlich, um nur ein Rädchen im Getriebe des Rats zu sein.
Faith schüttelte plötzlich entschlossen den Kopf. „Das führt zu nichts. So eine Vorahnung enthält meist keine Einzelheiten – wir müssen
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