Jäger der Nacht (German Edition)
gesagt, ich wäre keine Kardinalmediale. Ich bin fast wahnsinnig geworden.“
Wahnsinn. Der Teufel, der Faith in jeder wachen Minute verfolgte, ihr etwas zuflüsterte und am Ende ihres Lebens auf sie warten würde. „Glauben Sie, das könnte mir auch passieren?“
„Nur, wenn Sie Ihre Gabe nicht annehmen.“
„Es ist keine Gabe, es ist ein Fluch.“ Sie wollte Schrecken und Schmerz, Gewalt und Bosheit nicht sehen, sie wollte nichts fühlen. „Es könnte mich wirklich in den Wahnsinn treiben.“
„Glauben Sie tatsächlich, Sie sind so schwach, Rotfuchs?“ Vaughn schnurrte heiser an ihrer Kehle. „Sie sind über diesen Zaun geklettert und ohne Zögern in das Territorium von Gestaltwandlern marschiert. Wir haben Zähne und Krallen, aber Sie haben sich uns gestellt. Im Vergleich dazu sollte der Umgang mit Visionen ein Kinderspiel sein.“
Faith sah in diese erstaunlich wilden Augen. „Sie hätten mich nur töten können. Die Visionen könnten mich zu einer lebenden Toten machen.“
„Warum haben Sie solche Angst vor ihnen?“, fragte Sascha.
„Ich habe keine Angst.“ Faith sprang auf die Füße. „Mein Clan hat mir immer versichert, man würde für mich sorgen. Warum sollten sie meine Fähigkeiten in irgendeiner Weise beschneiden wollen?“ Sie wusste die Antwort darauf selbst, aber sie wollte, dass ein anderer sie für sie aussprach.
Am Rande ihres Blicksfelds sah sie, dass Vaughn seine Haltung veränderte. „Sie kennen die Antwort.“
Sie hätte sich denken können, dass er es ihr nicht so einfach machen würde. „Geld.“ Ihr Clan hatte sie verkauft. „Warum bin ich die Erste, di e … zusammenbricht?“
„Vielleicht sind Sie das gar nicht.“ Sascha stand ebenfalls auf und blickte sie offen an. „Vielleicht sind Sie nur die Erste, die man noch nicht bemerkt und zum Schweigen gebracht hat.“
Faith wusste, was Sascha freundlicherweise nicht aussprechen wollte. „Sie meinen die Rehabilitation?“
„Oder Schlimmeres, wenn man bedenkt, welchen Wert Sie haben. Ist irgendjemand aus Ihrem Zweig der Familie auf merkwürdige Weise verschwunden?“
„Meine Großmutter ist das letzte Mal kurz nach der Geburt meines Vaters gesehen worden. Und vor fünf Jahren ist eine Cousine von mir verschwunden – Sahara war damals erst sechzehn.“ Sie überlegte, was das bedeuten konnte. „Glauben Sie wirklich, der Clan oder der Rat könnten sie gefangen halten, ihre Hellsichtigkeit nutzen und sie an den finsteren Visionen wahnsinnig werden lassen?“
„Das weiß ich nicht, Faith. Ich bin keine V-Mediale.“
Faith spürte, dass Vaughn hinter sie getreten war. Auf irgendeine Weise verlieh ihr das die notwendige Kraft. „Aber ich bin eine. Und ich weiß, dass es selbst im Wahnsinn Momente der Klarheit gibt. Die Schwester meines Vaters lebt in einer geschützten Einrichtung – sie ist ganz einfach irgendwann zwischen fünfzig und sechzig verrückt geworden –, hat aber noch fünf oder sechs Jahre lang Vorhersagen gemacht, die Millionen eingebracht haben. Weit mehr als ihre Betreuung gekostet hat “ – die ihr den Wahnsinn angenehm machen sollte.
Das letzte Mal hatte Faith ihre Tante auf dem Bildschirm gesehen – Carina NightStar konnte direkten Kontakt nicht mehr ertragen. Der Anblick würde Faith bis zu ihrem Tod verfolgen. Die eiskalte Sieben-Komma-fünf-Mediale, die einst eine ihrer Ausbilderinnen gewesen war und deren Vorhersagen eine Genauigkeit von fast fünfundachtzig Prozent gehabt hatten, hatte nichts Menschliches mehr an sich gehabt. Sie hatte sich die Lippen zerbissen und sich so viele Biss- und Kratzwunden zugefügt, dass man ihr fast alle Zähne und Fingernägel entfernt hatte. Ihre Kleidung war zerrissen, ihr Haar verfilzt. Ein fremder, falscher Ausdruck hatte in ihren Augen gelegen.
„Doch anders als bei meiner Tante konnte man diejenigen mit den dunklen Vorahnungen nicht mit uns sprechen lassen. Das hätte den Erfolg von Silentium infrage gestellt. Sie mussten sie wegschließen, einsperren, bevor der geistige Verfall einsetzte.“ Langsam begriff Faith das ganze unmenschliche System.
„Auch in der Gefangenschaft können V-Mediale immer noch Vorhersagen machen. Wahrscheinlich wären sie sogar perfekte Werkzeuge – Maschinen, von deren Existenz niemand weiß, der Umgang mit ihnen wäre keinerlei Gesetzen unterworfen. Und wenn man bestimmte Teile der Konditionierung bewusst aufbräche, käme alles durc h … auch Visionen von Aufständen, was sich als sehr nützlich für die
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