Jäger der Nacht (German Edition)
sie wieder in den isolierten, alles akzeptierenden Zustand verfiel, in dem sie sich befunden hatte, bevor sie über den Zaun geklettert wa r – und kopfüber dem gefährlichsten Raubtier in die Arme gelaufen war, das sie sich vorstellen konnte.
„Ich verstehe Ihr Bedürfnis, für meine Sicherheit zu sorgen, aber ich hatte Bescheid gegeben, dass ich drei Tage lang nicht erreichbar sein würde. Diese Frist ist erst heute Abend vorbei. Ist das so schwer zu begreifen?“ Ihre Stimme klang kalt, ein Messer, das die Isolation geschärft hatte. „Oder möchten Sie gerne versetzt werden, damit jemand Ihren Posten übernimmt, der mich besser versteht?“ So etwas hatte sie noch nie angedroht, aber die unbekannte Kraft in ihr, die gerade erwachte, wollte diese Beschneidung ihrer Unabhängigkeit nicht länger hinnehmen.
Der M-Mediale blinzelte. „Ich entschuldige mich, Hellsichtige. Ein solcher Fehler wird nicht noch einmal vorkommen.“
Er würde sich ihr ungewöhnliches Verhalten notieren und eine vollständige körperliche Untersuchung anordnen. Faith schaltete die Kommunikationskonsole ohne ein weiteres Wort aus, sie hatte sich selbst ein Bein gestellt. Nun war sie nur noch in ihrem Privatbereich vor Überwachung sicher, wenn überhaupt. Es wäre vernünftiger gewesen, den Mund zu halten.
Oder vielleicht doch nicht?
Ruhig analysierte sie noch einmal ihr Verhalten. Sie war eine vierundzwanzigjährige V-Mediale, die mit fast hundertprozentiger Genauigkeit Vorhersagen machte. Sie war Milliarden wert, nicht nur Millionen, wie Sascha vermutet hatte. Und sie wusste, dass ihre geistigen Kräfte sie immun machten gegen Vorkommnisse, die bei anderen Medialen sofort Konsequenzen gehabt hätten. Zum Beispiel solche wie die Einweisung ins Zentrum, wo ihr Verstand im Zuge einer „Rehabilitation“ ausgelöscht worden wäre.
So gesehen war Arroganz beinahe vorauszusetzen. Nur weil bei den Medialen die Gefühle unterdrückt waren, hieß das noch lange nicht, dass sie Klassenunterschiede, Reichtum und Macht nicht mehr wahrnahmen.
Zum ersten Mal wurde Faith das unerschöpfliche Reservoir ihrer eigenen Macht bewusst. Vielleicht konnte sie sogar erreichen, nur noch im Liegesessel überwacht zu werden. Nicht sofort natürlich, aber allmählich, Stück für Stück.
Sie sah das Möbelstück an, auf dem sie so viel Zeit verbracht hatte, und traf eine Entscheidung: Sie setzte sich nicht hinein, sondern ging stattdessen wieder ins Schlafzimmer und legte sich aufs Bett. Sie wollte die freie Zeit nutzen, sich im Medialnet umschauen und nach Informationen suchen, deren Existenz sie nie zuvor in Betracht gezogen hätte – denn die Watte, in die ihre Aufseher sie gepackt hatten, war so dicht wie die Mauern eines Gefängnisses gewesen. Sie waren sogar so weit gegangen, ihr weiszumachen, ihr Geist sei verletzlicher als andere, es sei leichter in ihn einzudringen, und darum sollte sie sich nicht zu oft ins Medialnet begeben.
Faith hatte sich daraufhin noch stärkere Schutzschilde zugelegt und sich kaum noch hinter ihnen hervorgewagt. Aber wenn Sascha Duncan keine defekte Mediale war, dann war Faith NightStar vielleicht auch keine schwache Mediale. Erinnerungsfetzen blitzten in ihrem Kopf auf. Vaughn hatte sie berührt, er hatte sie geküsst, hatte sein leidenschaftliches Wesen nicht vor ihr verborgen. Und sie hatte allmählich damit umgehen können. Wenn sie einen Jaguar aushalten konnt e … Sie atmete tief ein, schloss die Augen und öffnete ihren Geist für die samtschwarze Nacht des Medialnets.
Sterne glitzerten in der Dunkelhei t – diese flackernden Lichter waren lebendige Wesen, die einzigartigen Gehirne unzähliger Existenzen. Sobald sie im Medialnet war, richteten sich flexible Schilde auf, die ihren Geist schützten. Ohne diese Schilde hatten Eindringlinge und Saboteure ein leichtes Spiel, konnten den umherschweifenden Geist vom Körper trennen und die Person unwiderruflich ins Koma versetzen. Die meisten Medialen hingen fanatisch an ihren Schutzschilden. Faith war geradezu besessen davon.
Sie war erst ein paar Minuten im Netz und speiste ziellos Informationen ein, als etwas sie streifte, das kein Lebewesen war. Der Netkopf. Er hielt an und sie spürte, wie er ein weiteres Mal über sie hinwegstrich, als wolle er sichergehen.
Offensichtlich stellte ihn die Struktur ihrer Gedanken zufrieden, denn er zog weiter. Es war ungewöhnlich, dass er angehalten hatte, doch Faith konnte das nachvollziehen – selbst dem Netkopf war
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