Jäger der Nacht (German Edition)
wenn sie sich entsprechend darauf einstellte. Aufgrund dieser Fähigkeit hatte sie einen gewissen Freiraum und wurde nicht rund um die Uhr überwacht. Aber solange sie auch nur eine Vision außerhalb dieses Sessels hatte, würde man ihr keine vollständige Privatsphäre gestatten.
Ihre Augen blieben in der Masse von Daten am Tricep-Symbol hängen. Trotz der Schnelligkeit des Datenflusses fiel ihr Blick immer wieder darauf. Ihr Gehirn hatte sich entschieden. Sie schloss die Augen und ließ ihren Atem in einen anderen Rhythmus fallen. Das war der erste Schritt, um sich selbst in diesen Halbschlaf zu versetzen, den sie schwebende Aufmerksamkeit nannte. In diesem Zustand war sie weder in dieser Welt noch im Medialnet, sondern in einem Raum, in den nur V-Mediale gelangte n – auf den Zeitströmen des Universums.
Dann öffnete sie ihre geistigen Kanäle. Im Grunde konnte sie diese gar nicht schließen, nur mit sehr viel Konzentration bis ins Unendliche ausdehnen. Auf diesen Teil ihres Gehirns konnte niemand vom Medialnet aus zugreifen, einzig Visionen gelangten dorthin. Und wenn irgendetwas in ihr nicht sicher war, welche Art von Visionen es war, ließ sie einfach nichts davon in ihr Bewusstsein dringen.
Die Tricep-Vorhersage war ein Kinderspiel. Danach hatte sie das ihr nun schon fast bekannte Gefühl, ihre geistigen Muskeln kaum gedehnt zu haben. Während sie die Einzelheiten der Vorhersage für die Aufnahme diktierte, ging ihr auf, dass sie bestimmt aus Langeweile verrückt werden würde, wenn sie so weitermachte. Erneut wies sie den M-Medialen an, die Liste laufen zu lassen; nach zwei weiteren vollkommenen Vorhersagen bat er sie aufzuhören.
„Wir wollen Ihren Geist nicht überstrapazieren.“
Da die Sitzung bisher nur einen winzigen Bruchteil ihrer Kräfte beansprucht hatte, hätte Faith ablehnen können, aber sie tat es nicht. Sie brauchte ihre Zeit und ihre Kraft für andere Dinge. „Ich bin in meinem Privatbereich.“
„Faith, man hat Ihre Überwachung kürzlich entscheidend eingeschränkt.“
Das hieß, man spionierte ihr nicht mehr jede Sekunde nach. „Ich habe das mit meinem Vater abgesprochen.“ Bestenfalls eine Übergangslösung. Anthony würde bald feststellen, dass sie keinen Sitz im Rat anstrebte – welche andere Entschuldigung sollte sie dann finden, um dem Würgegriff der Überwachung zu entkommen?
Im Schlafzimmer zog sie ihre Kleider aus, aß einen Energieriegel und sprang schnell unter die Dusche. Dann schlüpfte sie in eine Schlafanzughose und ein ärmelloses Oberteil. Sie setzte sich in klassischer Yoga-Position mit überkreuzten Beinen auf das Bett und sammelte ihre Gedanken für einen Ausflug ins Medialnet.
Man musste nicht notwendigerweise in einen solchen Zustand gelangen – Mediale konnten sich jederzeit einfach entscheiden, ins Medialnet zu gehen. Aber Faith hatte keine Übung darin, sich dem starken Informationsfluss zu öffnen. Auch bei ihrem letzten Vorstoß hatte sie sich von den datenreichsten und damit unübersichtlichsten Bereichen ferngehalten. Doch nun hatte sie genug davon, die perfekt konditionierte Maschine zu sein, sie würde es nicht zulassen, dass einprogrammierte Stressreaktionen sie weiterhin gefangen hielten.
Soso, und welche anderen körperlichen Reaktionen haben Sie noch erlebt?
Vaughns spöttische Stimme war plötzlich in ihrem Kopf und drohte die Früchte ihrer Konzentration zunichtezumachen. Sie sagte sich, dass sie den Geruch seiner Haut, den schweren, heißen Jaguarkörper, der ihre Beine gestreift hatte, und das Gefühl seines Kusses auf ihren Lippen vergessen musste.
„Konzentriere dich“, murmelte sie und begann die Namen der Unternehmen aufzusagen, die auf der Warteliste für Vorhersagen standen.
Nach zwanzig Minuten war sie fertig und ihr Geist war völlig ruhig.
Sie öffnete ihre geistigen Augen und trat hinaus in das größte und ständig aktualisierte Datenarchiv der Welt, um nach Informationen über V-Mediale und über sich selbst zu suchen. Aber heute gab das Medialnet nichts preis. Mit ihren Fähigkeiten nahm sie etwas unter der Oberfläche wahr, konnte aber nicht feststellen, ob es ein Echo oder eine Vorahnung war.
Stunden später gab sie die sinnlose Suche auf, nahm weder einen weiteren Energieriegel noch eine Suppe zu sich, sondern rollte sich nur unter dem dünnen Laken auf ihrem Bett zusammen. Normalerweise hatte sie keine Visionen, wenn ihr Geist so erschöpft war, oder zumindest drangen diese nicht in ihr Bewusstsein. Aber die
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