Jäger der Nacht (German Edition)
gelangen.“ Sie erwähnte nicht, dass durch das Programm auch die dunklen Visionen verschwunden waren.
Die Erinnerung daran war wie ein unerwarteter Blitz aufgezuckt. Als hätte Shoshannas Frage ein verborgenes Fach in ihrem Gedächtnis geöffnet und ihr vor Augen geführt, dass sie in ihrer Kindheit auch eine Zeit lang die Dunkelheit gesehen hatte. Es erforderte all ihre Selbstbeherrschung, sich nichts anmerken zu lassen.
„Sehr interessant.“ Shoshanna ging wieder weiter.
Faith folgte ihr schweigend. Diese Frau war sehr hübsch, aber sie gehörte dem Rat an – niemand gelangte ohne Blutvergießen dorthin. Kurz sah sie vor ihrem geistigen Auge ein Bild, auf dem die Ratsfrau mit bluttriefenden Händen zu sehen war. Es verschwand genauso schnell, wie es gekommen war, aber Faith war gewarnt. Sie hatte mehr als nur Blut gesehen, eine schreckliche Ahnung hatte sich damit verbunden. Der Tag war nicht fern, an dem das Blut von Faith NightStar an Shoshanna Scotts Händen kleben würde.
Es sei denn, Faith konnte die Zukunft ändern. Deshalb waren die V-Medialen ja so wertvoll – die Zukunft, die sie sahen, stand noch nicht fest. Firmen konnten einen Rivalen überrunden, wenn sie wussten, dass dieser kurz davor war, eine wichtige Erfindung zu präsentieren, oder sie konnten Aktien einer Firma kaufen, deren Wert an der Börse steigen würde. Aber noch nie zuvor hatte Faith etwas gesehen, das sie selbst so direkt betreffen konnte.
„Füllt Ihre Arbeit Sie aus?“ Shoshannas Stimme schnitt kalt durch das Wispern der Blätter im Wind.
Faith wusste nicht, was Shoshanna wollte, deshalb sagte sie die Wahrheit. „Nein. Es ist zu leicht geworden. Wenn ich müsste, könnte ich die Aktienkurse im Schlaf vorhersagen. Das ist keine Herausforderung mehr.“ Silentium hatte ihnen zwar die Gefühle genommen, aber es hatte nicht das Bedürfnis nach geistiger Stimulation beeinträchtigt. „Ich bin die Beste in dieser Hemisphäre. Nur Sione vom Pacific Rose Clan auf der Südhalbkugel kommt manchmal an mich heran.“
„Trotzdem haben Sie sich nie für einen höheren Posten beworben.“
Langsam stieg eine Ahnung in Faith auf, worum es bei diesem Besuch gehen könnte, aber sie konnte es noch nicht glauben. „Zufällig habe ich gerade neulich darüber nachgedacht. Aber aufgrund meines Alters habe ich mich doch entschlossen, noch abzuwarten und mich erst weiter zu informieren.“
„Sehr tüchtig.“ Shoshanna schien die Lüge offensichtlich zu beeindrucken. „Niemand würde eine V-Mediale bei einem solchen Vorhaben beschatten. Haben Sie etwas Interessantes herausgefunden?“
Faith entschied sich wieder, die Wahrheit zu sagen, da Shoshanna mit ziemlicher Sicherheit sowieso schon alles wusste. „Im Medialnet gibt es Anzeichen von Auflehnung. Die mysteriösen Umstände, unter denen Ratsherr Santano Enrique umgekommen ist, haben gefährliche Spekulationen aufgebracht.“
„Was sollten wir Ihrer Meinung nach tun, um diese Spekulationen zum Schweigen zu bringen.“
Wollte Faith das überhaupt? Diskussionen und Veränderungen wären sicher besser für das Medialnet als gehorsamer Stillstand. Doch mit dieser Antwort würde sie nur unerwünschte Aufmerksamkeit erregen. „Ich bin sicher, dem Rat fällt eine bessere Lösung ein als mir.“
Wieder setzte Shoshanna das kalte Medialenlächeln auf, das Faith sich nie zugelegt hatte. Warum sollte sie lächeln, da sie weder Belustigung noch Hoffnung spürte?
„Sie müssen keine Angst haben, dass ich beleidigt bin, Faith. Ich möchte nur wissen, was Sie tun würden.“
„Ich würde den Leuten Antworten geben. Etwas Konkretes. Nichts beendet Vermutungen so schnell wie die unwiderlegbare Wahrheit.“ Doch was sie im Medialnet gehört hatte, zeugte von stärkerer Unzufriedenheit. Der Rat hatte an Boden verloren. Ganz egal, was sie jetzt noch sagten, einige Leute würden sie nicht mehr überzeugen.
Shoshanna blieb stehen und Faith sah, dass sie wieder an ihrem Ausgangspunkt angekommen waren. „Ich teile Ihre Ansicht. Vielleicht können wir uns später noch einmal darüber unterhalten.“
Faith registrierte die Zurückweisung und nickte. „Ich freue mich schon darauf, Ratsfrau.“ Dann drehte sie der Frau den Rücken zu, an deren Händen eines Tages ihr Blut kleben würde, und ging ohne Eile zu ihrem Haus zurück. Gut, dass Shoshanna nicht eine Katze war wie Vaughn, sonst hätte Faiths unregelmäßiger Herzschlag sie verraten.
Etwas Gutes hatte diese Begegnung allerdings gehabt – sie
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