Jäger der Schatten
Gruppe, die auf sie zukam, bestand nicht aus Venatoren, aber sie konnte ihre Verzweiflung und ihre Furcht riechen und sie wusste, dass sie ihnen nicht wohlgesonnen waren. Was hatten sie und Jack sich nur dabei gedacht, sich einen faulen Vormittag zu gönnen? Gott sei Dank, dass sie bereits angezogen waren.
Sie konnte Jacks gleichmäßigen Herzschlag unter sich hören.
»Aufstehen!«, befahl eine schroffe Stimme.
Skyler gähnte, streckte sich und tat so, als würde sie mit den Augen blinzeln. Sie erhob sich und sah sich um. Jack tat es ihr nach. Mit ihren zerzausten Haaren und ihren geröteten Wangen sahen sie wie zwei junge Menschen aus, die bei einem Nickerchen geweckt worden waren.
Sie waren von Männern umringt, die Gewehre und Pistolen trugen. Aus ihrem Verhalten und ihrer Art zu sprechen schlussfolgerte Skyler, dass die Männer Bauern aus einem benachbarten Dorf waren, vermutlich aus Santo Stefano, denn der Ort lag ganz in der Nähe. Die Gegend war mit Leuten bevölkert, die ihre Dörfer noch nie verlassen hatten und ihre Traditionen und ihr Handwerk seit Generationen bewahrten und weitergaben. Das moderne Zeitalter hatte ihnen Handys und Internetcafés gebracht, doch sie lebten noch immer in jahrhundertealten Bauernhäusern ohne Heizung und stellten Brot und Wurst mit eigenen Händen her.
Die Männer hoben ihre Waffen und starrten sie an. Skyler begriff, dass das keine schlechten Leute waren. Sie waren verängstigt und wirkten bedrohlich, aber sie waren nicht böse. Sie entspannte sich ein wenig.
Jack hob beschwichtigend die Arme. »Was wollen Sie von uns? Wir haben doch nichts getan«, sagte er in perfektem Italienisch.
»Es ist verboten, in den Bergen zu zelten. Wer seid ihr und woher kommt ihr?«, wollte ein hagerer Mann mit schmalen Augen wissen.
»Wir sind Amerikaner. Wir kommen aus New York und sind auf einer Rucksacktour«, antwortete Skyler und hoffte auf ihren Sinn für Gastfreundschaft. Die Italiener mochten amerikanische Touristen. Sie hatten genug Dollars, um ihr überteuertes Eis zu kaufen.
Ein Mann in einem T-Shirt mit der Aufschrift Fiat spannte den Hahn einer altmodischen Beretta-Pistole und nickte.
»Wir mögen hier keine Fremden.«
»Wir sind nur auf der Durchreise. Wir wussten nicht, dass man hier nicht zelten darf«, erklärte Skyler. »Bitte lasst uns einfach gehen.«
Jack machte einen Schritt nach vorn und hatte sofort eine Waffe am Kopf.
»Bleibt, wo ihr seid!«
»Bitte seid vernünftig«, sagte Jack freundlich, aber mit einem scharfen Unterton.
»Halt’s Maul!«
Skyler sah zu Jack hinüber. Wenn er wollte, konnte er die Männer augenblicklich vom Erdboden verschwinden lassen.
Tu es nicht , sandte sie.
Sie schloss die Augen und konzentrierte sich. Sie konnte in die Gedanken der Männer eindringen.
Es sind nur Kinder, wir sollten sie gehen lassen . – Sie können mit Mari-Elena nicht so weit gekommen sein, wir verschwenden unsere Zeit . – Sie könnten etwas wissen . – Was sollen wir mit ihnen tun ? – Das ist doch bescheuert. Wir sollten gehen . – Wir sollten sie festhalten, bis sie reden . – Schwierige Zeiten. Fremde . – Wir können ihnen nicht trauen.
Sie brauchen unsere Hilfe, dachte Skyler. Die Männer waren verängstigt und durcheinander und im Zentrum ihrer Angst stand ein Mädchen. Nein. Sie hatten Angst um das Mädchen. Sie konnte das Mädchen in den Gedanken der Männer sehe n – ein junges Ding, höchstens ein oder zwei Jahre jünger als sie selbst. Skyler traf eine Entscheidung.
»Bitte erzählt uns, was passiert ist«, sagte sie. »Vielleicht können wir euch helfen. Ihr sucht jemanden, stimmt’s? Jemanden, der euch allen am Herzen liegt. Wir sind Freunde von Pater Baldessarre.«
Nachdem sie den Namen des Priesters erwähnt hatte, entspannte sich die Gruppe. Skyler hatte richtig vermutet. Der Petruvianerorden bedeutete hier etwas. Pater Baldessarre war ein heiliger Mann, ein Mann, der respektiert wurde, ein Mann, dessen Name viel Gewicht hatte. Viel Glaubwürdigkeit.
Unvermittelt dachte Skyler an ihren Großvater.
»Lasst uns euch helfen«, sagte sie. »Wir sin d … dafür ausgebildet. Bitte, sagt uns, was passiert ist.«
Die Männer tauschten ein paar Blicke, dann begann der Älteste von ihnen zu sprechen. »Sie haben meine Tochter geholt, Mari-Elena«, sagte der große Mann. Doch er konnte nicht fortfahren, sondern hob die Hände vors Gesicht und begann zu schluchzen.
Luca, der Jüngste in der Gruppe, klärte die beiden auf. Sein
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